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österreichische zeitschrift für ... - Universität Wien

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Bei der Auswahl des Nachfolgers von Kozlik spielte – jedenfalls soweit die<br />

Akten der Ford Foundation darüber Auskunft geben – der Krawattenzwang<br />

keine, die Frage der politischen Haltung allerdings die bestimmende Rolle. Ein<br />

<strong>Wien</strong>er Rechtsanwalt, der als Vertrauter Olahs ins Kuratorium nominiert wurde,<br />

schlug vergeblich ” one Marz – an old-time radical socialist party man, not<br />

a scholar“ 113 vor, während Lazarsfeld einen seiner ehemaligen Studenten (oder<br />

Teilnehmer einer der Ferienkolonien der sozialistischen Studenten ) ausfindig<br />

machte: Fritz Kolb konnte das Kriterium ” a scholar“ zu sein nicht erfüllen, aber<br />

er scheint nirgendwo auf starken Widerstand gestoßen zu sein. 114<br />

Trotz des organisatorischen Chaos funktioniert im ersten Jahr zumindest<br />

die Einladung von Gastprofessoren. Von den vielen Ex-Österreichern, die in<br />

den Jahren vor der Eröffnung des IHS ihr Interesse bekundet hatten oder vorgeschlagen<br />

worden waren, blieben nicht viele übrig. Die Liste der Gastprofessoren<br />

war dennoch außerordentlich beeindruckend: James Coleman, Wassily<br />

Leontieff, Karl Menger, Adolf Sturmthal und Gerhard Tintner waren im ersten<br />

Jahr am IHS tätig. Zufrieden waren die ausländischen Gastprofessoren selten,<br />

aber nur Coleman ergriff die Initiative und schrieb einen dreiseitigen Brief über<br />

seine Erfahrungen an ” To whom it may concern“, da er nicht wisse, wer in der<br />

Ford Foundation oder sonst wo eigentlich <strong>für</strong> das <strong>Wien</strong>er Institut zuständig<br />

sei. Zwar habe er zugesagt, auch im folgenden Jahr nach <strong>Wien</strong> zu kommen,<br />

wenn sich allerdings die Bedingungen dort nicht grundlegend änderten, wäre<br />

das reine Zeitverschwendung. Coleman listet die Mängel dann im einzelnen<br />

auf. Der Proporz sei vielleicht im Kuratorium und bei den beiden Direktoren<br />

noch hinzunehmen, daß allerdings auch die Assistenten nach Parteizugehörigkeit<br />

ausgewählt würden, habe ernste Konsequenzen <strong>für</strong> das Funktionieren des<br />

Instituts. Weil die Assistenten obendrein derart gut bezahlt würden, daß sie<br />

mehr verdienten als <strong>Universität</strong>sprofessoren, könnten die Direktoren, die jeder<br />

die Hälfte der Assistenten auswählen dürften, keine zu jungen Leute nominieren.<br />

Deshalb säßen Vierzigjährige – Alterskollegen Colemans 115 – am Institut<br />

herum und gingen gleichzeitig anderen Berufen nach, die mit Sozialforschung<br />

nichts zu tun hätten. Die einzige Aufgabe der Assistenten bestünde darin, bei<br />

den Vorlesungen der Gastprofessoren anwesend zu sein, worüber Anwesenheitslisten<br />

geführt würden. Bei der Einstellung sei jedem Assistenten von Sagoroff,<br />

113 Eduard März (1908–1987), Studium der Nationalökonomie in <strong>Wien</strong> und nach der Emigration<br />

in Harvard, unter anderem bei Schumpeter, 1953 Rückkehr nach <strong>Wien</strong>, wo er 1956<br />

die Wirtschaftswissenschaftliche Abteilung der <strong>Wien</strong>er Arbeiterkammer aufbaute. Habilitationsversuche<br />

an der <strong>Wien</strong>er <strong>Universität</strong> scheiterten an seinen marxistischen Auffassungen.<br />

114 Fritz Kolb geht in seinen Erinnerungen nicht auf seine Tätigkeit am IHS ein: Es kam<br />

ganz anders. Betrachtungen eines alt gewordenen Sozialisten, <strong>Wien</strong> 1981.<br />

115 James S. Coleman (1926–1995) studierte an der Columbia <strong>Universität</strong> und arbeitete<br />

am dortigen ’ Bureau of Applied Social Research‘, ab 1959 war er an der Johns Hopkins<br />

<strong>Universität</strong> und ab 1973 an der <strong>Universität</strong> Chicago tätig.<br />

ÖZG 11.2000.1 171

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