österreichische zeitschrift für ... - Universität Wien
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entscheiden dürfen. Aber erst die Kombination der beiden Mechanismen hat<br />
fatale Folgen. Der bloße Umstand, daß in allen Organisationen auf allen Ebenen<br />
Personen tätig sind, die entweder der Partei A oder B angehören, ist auch<br />
im internationalen Vergleich noch nicht ungewöhnlich. Wenn allerdings diese<br />
vielen nur jene Entscheidungen treffen dürfen, zu denen sie von allerhöchster<br />
Ebene ermächtig worden sind, dann tritt eine Blockade gegen Veränderung auf.<br />
An die Seite der strukturellen Versteinerung tritt der Mangel an Personen,<br />
die gewillt oder in der Lage gewesen wären, etwas Neues zu wagen. Die archivierten<br />
Akten der Rockefeller Foundation enthalten eine große Zahl von Fällen,<br />
wo die Stiftung bereit gewesen wäre, Österreichs Sozialwissenschaftlern nach<br />
1945 Geld zu geben und, verkürzt gesprochen, die Österreicher unfähig waren,<br />
dieses in Empfang zu nehmen und damit etwas anzufangen. Die vergebliche<br />
Suche nach einem fähigen Direktor <strong>für</strong> das IHS verweist damit auf den breiteren<br />
Kontext des Zustands der Sozialwissenschaften im Nachkriegsösterreich<br />
im Allgemeinen. Um den Personalmangel 124 zu erklären, verweisen die meisten<br />
Autoren auf die Vertreibung und Ermordung der Juden, die eine Lücke<br />
gerissen hätten. Dieses Bild scheint mir irreführend zu sein. Weder im Bewußtein<br />
der Nachgeborenen der ersten Generationen noch im faktischen Sinne<br />
existierte diese Lücke. Die Mehrheit der Flüchtlinge, die später im Ausland<br />
sozialwissenschaftlich arbeiten sollten, ging aus Österreich weg, ohne eine Stelle<br />
freizumachen, die jemand anderer einnehmen hätte können. Ihre Emigration<br />
eröffnete daher <strong>für</strong> andere kaum Möglichkeiten, in eine Lücke einzuströmen und<br />
dort eine nicht-jüdische Intellektuellensubkultur auszuformen. Bei jenen, die in<br />
der hier betrachteten Periode der Zweiten Republik sozialwissenschaftlich eine<br />
Rolle spielten, gab es weder ein Bewußtsein einer ausfüllbaren Lücke noch eines<br />
einer nicht mehr wieder gut zu machenden Vertreibung.<br />
In Österreich traten Personen mit einem Interesse an Fragen des Sozialen –<br />
sieht man von Teilen des Klerus ab – erst im Zuge der Expansion des tertiären<br />
Bildungswesens und des parallelen Kulturimports von Rock’n’Roll und Gesellschaftstheorie<br />
auf. Nur vier Jahre nach dem krawattenlosen Rebellen Kozlik<br />
rumorte es auch unter den Scholaren des IHS – aber sie beriefen sich nicht auf<br />
ihren autochtonen Vorgänger, sondern auf die Importwaren Kritische Theorie,<br />
Konflikttheorie und reflexive Soziologie. Erst die Ausweitung des teritären<br />
Bildungswesens, die nicht in Österreich erfunden wurde, sondern ein weiteres<br />
Importgut – diesfalls aus den UNESCO und OECD Warenhäusern – darstellt,<br />
schuf sozialwissenschaftliche Studiengänge und erhöhte die Zahl der <strong>Universität</strong>sabsolventen.<br />
So lange dieser Prozeß nicht in Gang gekommen war, also<br />
124 Es gibt viele Indikatoren, die das zu illustrieren vermögen; erinnert sei hier nur an die<br />
Schwierigkeit Lazarsfelds, <strong>österreichische</strong> Studenten <strong>für</strong> ein Stipendium in den USA zu finden.<br />
Ich habe das am Beispiel der Rockefeller Fellows illustriert, vgl. Christian Fleck, Deutschsprachige<br />
sozialwissenschaftliche Rockefeller Fellows 1924–1964, in: Newsletter des Archivs<br />
<strong>für</strong> die Geschichte der Soziologie in Österreich, H. 17, Juni 1998, 3–10.<br />
ÖZG 11.2000.1 177