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Theorien erweiterter Tonalität und vagierender Akkorde

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Analyse auch nicht die Besonderheiten hervor, so kann etwa die Ziffer II in der Stufenfolge II-<br />

V-I unter anderem für einen neapolitanischen Sextakkord, einen übermäßigen Quintsextakkord<br />

oder einen Mollakkord stehen. Durch diese ungenaue Darstellungsweise ist die Rekonstruktion<br />

eines harmonischen Ablaufs ausgeschlossen – von Schönberg aber auch nicht intendiert. Die<br />

detaillierte Darstellung harmonischer Verläufe durch Riemanns Funktionsanalyse – die auch<br />

wichtige Aufschlüsse über harmonische Zusammenhänge gibt – würde eine solche Wiederherstellung<br />

ermöglichen, stößt aber schnell an Grenzen der Übersichtlichkeit. Oft ist nicht gleich<br />

klar, welche Harmonien hinter einer Folge von Funktionen stecken; besonders deutlich wird<br />

dies bei Sequenzen. Schenkers Darstellung vereint positive Seiten der <strong>Theorien</strong> Riemanns <strong>und</strong><br />

Schönbergs: Er kombiniert die übersichtlichere Stufenanalyse Schönbergs mit der genaueren<br />

Definition eines Zusammenklangs bei Riemann; Schenker kann aber deutlich weniger Harmonien<br />

innerhalb einer Tonart erklären als Riemann oder gar Schönberg.<br />

In den Interpretationen der Harmonieverläufe im Sinn von Riemann, Schenker <strong>und</strong> Schönberg<br />

gibt es oft Abweichungen. Das Beispiel eines verminderten Dreiklangs auf der V. Stufe im<br />

Intermezzo op. 117/2 (T. 20) lässt Unterschiede in den drei <strong>Theorien</strong> besonders gut erkennen:<br />

Riemann interpretiert in als „verkürzte Zwischensubdominante“, Schenker als Vorhalt <strong>und</strong><br />

Schönberg als Erweiterung aus dem Mollsubdominantbereich. Auch die verschiedenen Auffassungen<br />

des neapolitanischen Sextakkords (T. 21) als Vertreter der IV. (Riemann) oder der II.<br />

Stufe (Schenker, Schönberg) bewirken unterschiedliche Interpretationen eines Trugschlusses.<br />

Die Grenzen der harmonischen Systeme Riemanns <strong>und</strong> Schenkers zeigen sich anhand der Analyse<br />

des Intermezzos vor allem am Beispiel des übermäßigen Quintsextakkords, da sie im Gegensatz<br />

zu Schönberg in ihren Harmonielehren die Klanggleichheit des übermäßigen Quintsextakkords<br />

mit dem Dominantseptakkord nicht berücksichtigen.<br />

Die praktische Anwendung der hier untersuchten <strong>Theorien</strong> Hugo Riemanns, Heinrich<br />

Schenkers <strong>und</strong> Arnold Schönbergs macht offensichtlich, dass keine der drei <strong>Theorien</strong> allein zur<br />

harmonischen Analyse geeignet ist – erst eine ausgewogene Berücksichtigung aller Sichtweisen<br />

bzw. die Ergänzung durch andere <strong>Theorien</strong> (etwa in Bezug auf die Stimmführung spätere Ansätze<br />

Schenkers) liefert eine schlüssige Interpretation der musikalischen Zusammenhänge. Dies<br />

trifft jedoch nicht auf die Analyse von Musik an den (äußersten) Grenzen der <strong>Tonalität</strong> zu, wie<br />

die Diskussion von Schönbergs Verklärter Nacht zeigte: Hier wird deutlich, dass die harmonischen<br />

Systeme Riemanns <strong>und</strong> Schenkers sehr rasch an ihre Grenzen stoßen <strong>und</strong> viele Zusammenklänge<br />

für sie nicht mehr deutbar sind. Schönberg kann zwar alle Klänge erklären, aber<br />

auch ihm fehlt ein geeignetes Darstellungssystem für eine Harmonik, die in erster Linie durch<br />

Stimmführungsprozesse zustande kommt.<br />

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