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Theorien erweiterter Tonalität und vagierender Akkorde

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<strong>Theorien</strong> <strong>erweiterter</strong> <strong>Tonalität</strong> – Heinrich Schenker<br />

der Stufe leitereigen ist. 43 Ein Beispiel für „unmittelbare Tonikalisierung“ findet sich z.B. in<br />

Takt 27 von Brahms’ Intermezzo b-Moll op. 117/2 (Abb. 13): Das ces am Taktbeginn ist nicht<br />

Teil von Des-Dur, aber leitereigen in es-Moll <strong>und</strong> lässt den es-Moll-Dreiklang im Moment als<br />

Tonika erscheinen. 44<br />

Abbildung 13: Johannes Brahms: Intermezzo b-Moll op. 117/2, Takt 23 bis 27 45<br />

Auch d <strong>und</strong> a in Takt 27 sind nicht leitereigen in Des-Dur <strong>und</strong> unterstützen als Leittöne das<br />

vorübergehende Erscheinen des es-Moll-Akkords als Tonika: Schenker sieht diese Töne als<br />

„Miniaturtonikalisierung“ an – als „Nebennoten, die sich zu der Rolle […] einer siebenten Stufe<br />

hergeben“. 46<br />

„Mittelbare Tonikalisierung“ bedeutet, dass an einer oder zwei Stufen vor dem betreffenden<br />

Akkord chromatische Änderungen vorgenommen werden, damit dieser als Tonika erscheint. 47<br />

Diese Methode der Tonikalisierung erfordert eine fallende Quint (Abb. 14) oder eine steigende<br />

Sek<strong>und</strong>e (Abb. 15) als zugr<strong>und</strong>eliegenden Harmonieschritt, denn die vorausgehende Harmonie<br />

soll durch Chromatik auf solche Weise verändert werden, dass als Endprodukt eine Harmoniefolge<br />

nach dem Schema V-I oder VII-I resultiert. 48<br />

43 Schenker gibt in diesem Zusammenhang folgendes Beispiel: Die IV. Stufe von F-Dur wird scheinbar zur Tonika,<br />

indem im Durchgang ein – in F-Dur nicht leitereigenes – es erscheint (vgl. Schenker, Harmonielehre, S.<br />

338).<br />

44 Dieses Phänomen ist heute unter dem Begriff „Ausweichung“ geläufig.<br />

45 Der Notenausschnitt stammt aus: Brahms, Johannes: Klavierstücke. Nach Eigenschriften, Abschriften <strong>und</strong> den<br />

Handexemplaren des Komponisten, hrsg. von Monica Steegmann, Fingersatz von Walter Georgii. München:<br />

Henle 1976.<br />

46 Schenker, Harmonielehre, S. 363.<br />

47 Schenker, Harmonielehre, S. 343 f. Schönberg kritisiert Schenkers Ausdrucksweise, denn „innerhalb einer<br />

Tonart gibt es nur eine Tonika“ <strong>und</strong> „die Herstellung eines Leittons [muss] gar nichts mit einer Tonika zu tun<br />

haben […], sondern [kann] auch zu anderen Stufen führen“ (vgl. Schönberg, Harmonielehre, S. 208). Außerdem<br />

kann bei Schönberg „eine solche Nebendominante rein um ihrer selbst willen entstehen […], ohne die Absicht,<br />

in eine Nebentonika zu gehen“ (ebd., S. 462).<br />

48 Vgl. Schenker, Harmonielehre, S. 344 f. <strong>und</strong> 356 f. Schenker erwähnt auch die Möglichkeit der „Tonikalisierung<br />

bei fallenden Terzen“ nach dem Modell III-I. Er kommt aber zu dem Schluss, dass fallende Terzen zur<br />

Tonikalisierung nicht so geeignet sind wie fallende Quinten oder steigende Sek<strong>und</strong>en, da der Effekt aufgr<strong>und</strong><br />

mehrerer entsprechender Harmoniefolgen (VI-IV <strong>und</strong> VII-V) nicht eindeutig ist (vgl. ebd., S. 352 f.).<br />

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