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Projet_Notre Vision DE 10/01/06 11:31 Page 239 EINE REALISTISCHE EUROPAVISION die Europäische Union ihren Markt einseitig öffnet – unter dem Stichwort „alles außer Waffen!“. Dieses Schlagwort ist griffig, führt aber zu schweren Problemen beispielsweise für die europäische Landwirtschaft. Das Ringen um einen liberalen und offenen Welthandel wird uns zweifellos auch in 20 Jahren beschäftigen. Es wird ähnlich sein, wie zu Zeiten des Kalten Krieges – die Abrüstung. Man hat viel über sie gesprochen, und sie nie erreicht. So ähnlich wird es dem freien Welthandel gehen. Man wird viel über ihn sprechen, aber ihn nie zur Gänze erreichen. Es ist allerdings ein Ziel, dass wir im Auge behalten sollten. Besonders wenn wir das europäische Wirtschaftswachstum ankurbeln wollen. Wachstum und Beschäftigung müssen in Europa dringend belebt werden. Vielleicht schaut dann in 20 Jahren die nächste Lissabon-Bilanz besser aus, als die derzeitige Halbzeit-Bilanz. Ich bin der Überzeugung, dass mit dem jetzigen im Europäischen Parlament mit breiter Zustimmung bedachten Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission die Chancen für Wachstums- und Beschäftigungsimpulse gut sind. Schon allein die Konzentration auf einige wenige Ziele – wie Wirtschaftswachstum, Forschungspolitik und schrittweise Liberalisierung der Arbeits- und Dienstleistungsmärkte – weisen in die richtige Richtung. Auch wenn manche Maßnahmen dieser Strategie vorübergehend Einschnitte bedeuten, werden sie doch auf längere Sicht die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union stärken. Dies ist dringend notwendig – angesichts des Drucks, dem uns die dynamische kommende Großmacht China aussetzt. Wir werden uns in 20 Jahren als Europäer nach wie vor mit der Großmacht USA messen und auseinandersetzen müssen. Wir werden uns aber auch gegenüber China behaupten müssen. Dazu kann die Erweiterung der Europäischen Union über die Nachbarschaftspolitik hinaus – zum Beispiel im Falle der EUambitionierten Ukraine – durchaus dienen. Dazu bedarf es aber auch einer klaren Strategie der Europäischen Union gegenüber Russland, gegenüber den USA und gegenüber dem asiatischen Raum. Ich hoffe, dass wir in 20 Jahren nicht mit einer zügellosen Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und regionalen Atommächten konfrontiert sein werden. Wenn wir verhindern wollen, dass zwischen China, Japan, Taiwan, Nordund Südkorea ein atomares Wettrennen stattfindet, müssen die Maßnahmen dazu jetzt getroffen werden. Dazu bedarf es einer Abstimmung vor allem der europäischen und der amerikanischen Strategie. Noch gefährlicher erscheint mir ein zweites Szenario, das einer Atommacht Irans. Ob es der Europäischen Union im Dreiklang von Deutschland, Frankreich und Großbritannnien gelingen wird, das theokratische Regime in Teheran zu einem Verzicht auf atomare Rüstung zu bewegen, wird ein Testfall für die Glaubwürdigkeit europäischer Außenpolitik sein. Wenn dies nicht gelingt, wird erstens eine schwere Krise im Nahen Osten die Folge sein. Und zweitens werden wir noch in 20 Jahren bedauern, dass uns die Vereinigten Staaten nicht ernst 239
Projet_Notre Vision DE 10/01/06 11:31 Page 240 URSULA STENZEL nehmen – und den scheinbar einfacheren Weg einer nicht abgestimmten, einseitigen unilateralen Politik vorziehen. Dann allerdings werden wir auch in 20 Jahren mit Bedauern feststellen, dass die Europäische Union zwar zu den „großen Payern“, aber nicht zu den „großen Playern“ zählt. Dies ist aber keineswegs ein ungeschriebenes Naturgesetz. Es lässt sich beeinflussen – vorausgesetzt der politische Wille dazu ist vorhanden. 240 März 2005
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