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Spuren und Spurenleser. Zur Theorie und Ästhetik des - repOSitorium

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geschichte eines historischen Zeichens <strong>und</strong> sollten entsprechend studiert werden, auch<br />

dann, wenn es sich um Pflanzengesellschaften handelt.<br />

Daniela Bernard hat 1994 in einer bemerkenswerten Diplomarbeit (»Natur in der<br />

Stadt – Über die Abhängigkeit der Wahrnehmung städtischer Spontanvegetation von<br />

kulturellen Mustern«) gezeigt, in wie vielfältiger Weise die städtische Ruderalvegetation<br />

heute zum Symbol wird, das heißt: auf etwas Allgemeines verweist, was sie als materielles<br />

Phänomen von sich aus (<strong>und</strong> natürlich auch für den bloß naturwissenschaftlichen<br />

Vegetationsk<strong>und</strong>ler) nicht ist: nämlich auf sehr allgemeine politischweltanschauliche<br />

Stellungnahmen. Dort findet man auch eine plausible Übersicht über<br />

die Konnotationen, Symbolisierungen <strong>und</strong> Ideologien, die sich an die städtische Ruderalvegetation<br />

sozusagen ankristallisiert haben.<br />

So können Mäusegerstebestände <strong>und</strong> überhaupt städtische Ruderalvegetation zwar in<br />

negativer Weise Symbole von Unordnung, Chaos <strong>und</strong> Unmoral sein, aber in jüngerer<br />

Zeit ist städtische Spontanvegetation unter Umständen auch z.B. Symbol <strong>des</strong> ökologisch<br />

Richtigen, Angepaßten, Standortgemäßen, ja <strong>des</strong> Natürlichen, der freien Natur<br />

<strong>und</strong> der natürlichen Ordnung schlechthin geworden. Zuweilen werden Stadtbrachen mit<br />

Ruderalvegetation (oder sogar städtische Spontanvegetation insgesamt) auch zum Symbol<br />

einer von den stadtgesellschaftlichen Funktionssystemen noch nicht völlig kolonisierten<br />

<strong>und</strong> durchrationalisierten Lebenswelt – oder sie werden als ein Zeichen verstanden,<br />

das sozusagen subversiv an die Grenzen der Funktionalisierung <strong>und</strong> Planbarkeit<br />

der Stadt erinnert.<br />

Solche Symbolisierungen sind unter Umständen natur- <strong>und</strong> stadtpolitisch durchaus<br />

wirksam, <strong>und</strong> man muß auch fragen, welche gesellschaftlichen Gruppen <strong>und</strong> Interessen<br />

die Träger <strong>und</strong> Verstärker solcher Bedeutungen <strong>und</strong> Bedeutungsveränderungen sind<br />

(vgl. dazu wenigstens skizzenhaft Hard 1994).<br />

2.8.11 Schlußbemerkungen über den Wert einer »<strong>Theorie</strong> der Spur« für die »eigentliche<br />

Arbeit«<br />

In diesem Kapitel habe ich versucht, zu zeigen, wie die théorie de la trace <strong>und</strong> überhaupt<br />

eine Methodologie <strong>des</strong> <strong>Spuren</strong>lesens zur Analyse empirischer Arbeit dienen kann.<br />

Diese methodologische Analyse hätte ich auch an anderen Gegenständen vegetationsk<strong>und</strong>licher<br />

Arbeit durchführen können, von agrarlandschaftlichen Brachflächen über<br />

städtische Gartenbrachen <strong>und</strong> Grünanlagen bis hin zum Vegetationsmosaik <strong>des</strong> ganzen<br />

Stadtgebietes. Das spezielle Demonstrationsbeispiel habe ich gewählt, weil es einerseits<br />

überschaubar <strong>und</strong> jedem Vegetationsk<strong>und</strong>ler, ja sogar jedem Alltagsweltler aus der<br />

Alltagserfahrung gegenwärtig oder doch gut vorstellbar ist, aber andererseits auch wieder<br />

hinreichend Komplexität <strong>und</strong> Überraschungswert besitzt.<br />

Hoffentlich konnte ich zeigen, daß eine solche Methodologie nicht nur Möglichkeiten<br />

liefert, die eigene Arbeit im nachhinein zu reflektieren. Sie liefert eben nicht nur eine<br />

Checkliste von Kontrollinstanzen für den Rückblick, um im nachhinein Lücken <strong>und</strong><br />

Reflexionsmängel auszumachen. Vielmehr ist eine solche Methodologie auch eine Heuristik,<br />

<strong>und</strong> zwar nicht nur eine Heuristik, um im voraus Hypothesen <strong>und</strong> Fragen anzuregen,<br />

sondern auch eine Heuristik, die als arbeitsbegleiten<strong>des</strong> Such- <strong>und</strong> Deutungsraster<br />

dienen kann.<br />

Wissenschaftstheorie soll normalerweise eine nachträgliche »Rekonstruktion« der<br />

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