Spuren und Spurenleser. Zur Theorie und Ästhetik des - repOSitorium
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men z.B. hinzu eine mehr oder weniger reflektierte Wiederzulassung von Subjektivität<br />
<strong>und</strong> Emotionalität <strong>und</strong> eine Wiederbetonung ästhetischer Komponenten im Lernen <strong>und</strong><br />
Denken. 67 Was man auf diese <strong>und</strong> ähnliche Weise »postmodern« nennt, kann man allerdings<br />
(wie schon oft gesagt worden ist) auch als eine Komponente <strong>und</strong> Konsequenz<br />
der Moderne selber auffassen. Wenn man schon in so globalen Kategorien denken will,<br />
dann kann man sagen: »Die Moderne« war nie bloß ein Rationalisierungs-, Universalisierungs-<br />
<strong>und</strong> Uniformierungsprozeß, sondern wahrscheinlich noch viel mehr ein Differenzierungs-<br />
<strong>und</strong> Pluralisierungsprozeß auf allen Ebenen, <strong>und</strong> die <strong>Theorie</strong> der Postmoderne<br />
ist möglicherweise nur eine unterkomplexe, d.h. zu simple <strong>Theorie</strong> der Moderne<br />
– zu simpel, weil sie zu einfach auf die eine Seite einer Doppel- oder »Entzweiungsstruktur«<br />
setzt, in der (auf historisch-gesellschaftlicher wie auf individueller Ebene) das<br />
eine nicht ohne das andere existieren kann <strong>und</strong> das eine nicht ohne das andere zu haben<br />
ist; diese beiden Gesichter der Moderne sind koevoluiert, <strong>und</strong> das eine ist die Bedingung<br />
der Möglichkeit <strong>des</strong> anderen.<br />
Wie dem auch sei: Mit der Erweiterung <strong>des</strong> <strong>Spuren</strong>lesens durch Selbstreferenz kommt<br />
man jedenfalls postmodernem Auflockerungsübungen weit entgegen. Man pluralisiert<br />
z.B. die Lesarten einer Spur <strong>und</strong> macht aus jeder Spur ein mehrfachkodiertes Zeichen<br />
mit mehreren Bedeutungsschichten. 68 Subjektivität <strong>und</strong> Emotionalität <strong>des</strong> <strong>Spuren</strong>lesens<br />
werden nicht nur zugelassen, sondern auch thematisiert, <strong>und</strong> ihre Reflexion<br />
wird geregelt. Neben dem Sachgebiet der Spur wird dem <strong>Spuren</strong>leser <strong>und</strong> seiner Subjektivität<br />
zu ihrem Recht verholfen; gleichzeitig betrachten wir aber die <strong>Spuren</strong> <strong>und</strong> das<br />
<strong>Spuren</strong>lesen auch als etwas, worüber die Subjekte nie ganz Herr sind.<br />
2.13 Ästhetische Dimensionen <strong>des</strong> <strong>Spuren</strong>lesens <strong>und</strong> der Vegetationsk<strong>und</strong>e<br />
2.13.1 Das Problem – abstrakt formuliert<br />
Abstrakt ist das Thema oder Problem relativ schnell formuliert. – Bisher war vor allem<br />
von den im engeren Sinne kognitiven, zumal von den forschungslogischen (methodologischen)<br />
Strukturen <strong>des</strong> <strong>Spuren</strong>lesens, also vom <strong>Spuren</strong>lesen als einem Forschungs<strong>des</strong>ign<br />
die Rede. »Freies«, nicht durch Auftrag an bestimmte <strong>Spuren</strong> geheftetes <strong>Spuren</strong>lesen<br />
hat aber offensichtlich Dimensionen, die außerhalb oder an der Grenze der Forschungslogik<br />
liegen. Sie kommen schon bei der Selektion von <strong>Spuren</strong> <strong>und</strong> Nicht-<br />
<strong>Spuren</strong>, von präferierten <strong>und</strong> weniger präferierten <strong>Spuren</strong> ins Spiel. Nach klassischer<br />
Terminologie: im context of discovery. Diese Selektion beruht auf einem subjektiven<br />
Mehrwert bestimmter Dinge, den man versuchsweise als einen ästhetischen Mehrwert<br />
im weitesten Sinne bezeichnen kann. Worin besteht dieser ästhetische Mehrwert? Welches<br />
sind die Dimensionen ästhetischer Attraktion von Alltagsgegenständen, die dann<br />
67 Zu einem solchen Resümee etwa kommt man, wenn man die zentralen Ideen in einigen repräsentativen<br />
Übersichts- <strong>und</strong> Sammelwerken erfaßt, <strong>und</strong> sei es nur mittels einer Strichliste (vgl. z.B. Welsch 1987,<br />
1991, Kemper, Hg., 1988, Lyotard 1986). Daraus folgere ich, daß das zumin<strong>des</strong>t zentrale Topoi <strong>des</strong> Postmodernismus<br />
sind, die im übrigen nicht nur von den poetae minores oft mit ungeheurer Red<strong>und</strong>anz <strong>und</strong> oft<br />
auch mit sozusagen programmgerechter Vieldeutig- <strong>und</strong> Widersprüchlichkeit vorgetragen werden.<br />
68 <strong>Spuren</strong>lesen setzt allerdings schon ohnehin voraus, daß alles mehrfach kodiert werden kann <strong>und</strong> daß <strong>Spuren</strong>lesen<br />
immer ein Erzeugen von Zweittexten (Sub- <strong>und</strong> Gegentexten) ist.<br />
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