Spuren und Spurenleser. Zur Theorie und Ästhetik des - repOSitorium
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mit den jeweiligen Personen an sich als mit deren unterschiedlichen Positionen zu tun<br />
haben (vgl. z.B. Luhmann, Ökologische Kommunikation, 1986, S. 51ff.): So wie ja<br />
auch ein Fahrer <strong>und</strong> sein Mitfahrer sowohl die Situation wie das Verhalten <strong>des</strong> Fahrers<br />
in einem jeweils anderen Bezugsrahmen <strong>und</strong> vor allem mittels anderer Attribuierungen<br />
interpretieren. Der Fahrer interpretiert sein Verhalten z.B. im Hinblick auf die (bewältigte<br />
oder zu bewältigende) Situation (z.B.: »Da kam mir einer viel zu weit links entgegen,<br />
<strong>und</strong> da mußte ich ...«), der Mitfahrer aber beurteilt die Fahrerreaktionen z.B. auch<br />
– oder sogar vor allem – im Hinblick auf die Person <strong>des</strong> Fahrers (z.B.: »Typisch für ihn,<br />
daß er ..., richtig wäre gewesen ...; dabei habe ich es ihm schon so oft gesagt, <strong>und</strong> er<br />
weiß doch, wie ich diesen Fahrstil hasse ...«, usw.). So werden, wie Luhmann illustriert,<br />
die Ehen im Himmel geschlossen <strong>und</strong> im Auto geschieden. Der Beobachter 1 beobachtet<br />
eine Situation, der Beobachter 2 einen Beobachter in einer Situation, kann <strong>des</strong>halb<br />
Differenzen in der Situationsbeobachtung wahrnehmen <strong>und</strong> sie den differenten Beobachtern<br />
zuschreiben. Der »Handelnde« oder Beobachter 1. Gra<strong>des</strong> blickt auf »die« Situation,<br />
d.h. seine Welt als die Welt, <strong>und</strong> er neigt <strong>des</strong>halb im nachhinein auch sehr stark<br />
zur Berufung auf die Logik der Situation (ihre Sachzwänge <strong>und</strong> ihren normativen Gehalt),<br />
d.h. auf das, was man auch »die Natur der Sache« nennt. Das heißt auch: Er neigt<br />
zur Selbstidealisierung. Er ontologisiert seine Wahrnehmung <strong>und</strong> idealisiert sich selbst.<br />
Natürlich kann man solche Neigungen auch beim Beobachter 2. Gra<strong>des</strong> beobachten,<br />
wenn auch in einem anderen Sinne <strong>und</strong> auf einer anderen Ebene; der Beobachter 2.<br />
Gra<strong>des</strong> neigt dann dazu, es sich in der Rolle <strong>des</strong> Besserwissers (sozusagen im Paradies<br />
der Nörgler) bequem zu machen, <strong>und</strong> er muß eben dies kontrollieren, indem er sich<br />
klarmacht, daß er nicht unbedingt besser, sondern vor allem anders <strong>und</strong> anderes sieht.<br />
Auch in unserer Geschichte hatte der Beobachter 1. Gra<strong>des</strong> schon selber eine <strong>Theorie</strong><br />
seiner Motive <strong>und</strong> seines Handelns. Als ich ihn gleich nach der Lektüre seiner Ausarbeitung<br />
nach seinen Gründen für die Abschweifung fragte, bekam ich zunächst Antworten<br />
dieses Stils: Er habe sich auf diesen Aspekt verlegt, um etwas zur Bewältigung<br />
<strong>und</strong> Aufklärung der nationalsozialistischen Vergangenheit beizutragen, <strong>und</strong> weil man<br />
besonders heute Gegenakzente gegen den »nationalistischen Wiedervereinigungstaumel<br />
setzen« müsse. Ansonsten ergab sich für ihn das Thema (wie wir noch sehen werden)<br />
auf geradezu natürliche Weise, ja zwangsläufig aus den einmal gef<strong>und</strong>enen <strong>Spuren</strong>. Er<br />
folgte einfach der Natur <strong>und</strong> der Logik einer guten Sache.<br />
Der Beobachter <strong>des</strong> Beobachters (d.h. <strong>des</strong> <strong>Spuren</strong>lesers) wird in solchen Fällen noch<br />
nach anderen Lesarten suchen. Wenn es gut geht, lernen dann beide Beobachter, wie<br />
idiosynkratisches <strong>Spuren</strong>lesen <strong>und</strong> idiosynkratische <strong>Spuren</strong>leser zustandekommen,<br />
fruchtbar werden <strong>und</strong> schließlich – vielleicht – auch ihrerseits vor Fixierungen (<strong>und</strong><br />
überhaupt vor den negativen Aspekten ihrer Idiosynkrasien) geschützt werden können.<br />
<strong>Spuren</strong>lesen kann ja, um es noch einmal zu sagen, aus min<strong>des</strong>tens zwei Gründen in Trivialität<br />
abgleiten: Erstens, wenn bloß auf vorgegebene, bereits konventionalisierte <strong>und</strong><br />
offizielle Zeichen <strong>und</strong> Deutungen zurückgegriffen wird; zweitens, wenn das selbstreferentielle<br />
(oder, wenn man will: das hermeneutische) Moment, also die Reflexion auf<br />
den <strong>Spuren</strong>leser fehlt oder ebenfalls in offiziellen, stereotypen <strong>und</strong> idealisierenden<br />
Formeln hängenbleibt.<br />
Frauke Kruckemeyer (F.) verführte auf meine Bitte hin ihren Kommilitonen Jörn<br />
Keck (J.) zu einem Interview, das ich nun weder ganz zitieren, noch ganz durchinter-<br />
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