Spuren und Spurenleser. Zur Theorie und Ästhetik des - repOSitorium
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verb<strong>und</strong>en werden müssen. Ein Sozialwissenschaftler, der auf eine bestimmte Frage<br />
bloß mit einem Fragebogen reagiert, mag immer noch Wissenschaftler sein: Aber er<br />
geht an allen drei Prinzipien vorbei. Jedenfalls ist er kein <strong>Spuren</strong>leser.<br />
2.4 <strong>Spuren</strong> als Zeichen<br />
2.4.1 <strong>Zur</strong> Semiotik <strong>des</strong> <strong>Spuren</strong>lesens<br />
Nach einem vielzitierten Satz von Eco »ist die Semiotik im Gr<strong>und</strong>e eine Disziplin, die<br />
alles untersucht, was man zum Lügen verwenden kann« (Eco 1987, S. 26). Ein Zeichen<br />
oder eine Zeichenfunktion liegen vor, wenn es eine Möglichkeit zum Lügen, Täuschen<br />
<strong>und</strong> Fälschen gibt. Daß man mit <strong>Spuren</strong> i.w.S. (Abdrücken, Fährten, Indizien, Anzeichen,<br />
Symptomen ...) lügen, täuschen, irreführen kann, weiß jeder Karl May- <strong>und</strong><br />
Conan Doyle-Leser. Also sind auch <strong>Spuren</strong> im weitesten Sinne trivialerweise Zeichen.<br />
Es trägt zur Klarheit <strong>des</strong> Sprachgebrauchs bei, die Begriffe »Spur« <strong>und</strong> »<strong>Spuren</strong>lesen«<br />
auf die Terminologie der Semiotik zu beziehen. Das habe ich auch bisher schon<br />
getan; es soll nun aber etwas stärker systematisiert werden. Die Literatur der Semiotik<br />
ist in den hier wesentlichen Punkten ziemlich einhellig; so kann ich an die Standardwerke<br />
von Eco (1977, 1987, 1988) anschließen. Dabei präzisiere ich den Begriff »<strong>Spuren</strong>lesen«<br />
so, daß er den wissenschaftlichen <strong>und</strong> didaktisch-pädagogischen Anliegen,<br />
die meist damit verb<strong>und</strong>en sind, besser entspricht.<br />
Gegenstände oder Phänomene werden in dem Augenblick Zeichen (als Zeichen produziert),<br />
in dem sie als Zeichen erkannt <strong>und</strong> betrachtet werden. Nichts ist an sich (von<br />
seinem materiellen Substrat her) ein Zeichen, aber alles kann als Zeichen betrachtet<br />
werden. Zeichen kann man zu analytischen Zwecken auffassen als eine Komposition<br />
aus einem (meist materiellen) Signifikanten (»Bedeutungsträger«) <strong>und</strong> einem (stets immateriellen)<br />
Signifikat (Sinn, Bedeutung, »geistiger Gegenstand« usf.). <strong>Spuren</strong> wiederum<br />
sind eine besondere Art von Zeichen. Wieder gilt: Nichts ist an sich eine Spur, aber<br />
alles kann als eine Spur betrachtet werden. Auch alles, was (normalerweise oder in anderer<br />
Hinsicht) als Zeichen i.e.S. betrachtet wird, kann auch noch auf andere Weise als<br />
eine Spur betrachtet werden. <strong>Spuren</strong>lesen kann dann in der Zweitkodierung eines schon<br />
anderweitig kodierten Zeichens bestehen. Eben das ist der Sinn <strong>des</strong> »<strong>Spuren</strong>lesens«.<br />
In Alltag <strong>und</strong> in den Wissenschaften werden aus direkt zugänglichen <strong>und</strong> manifesten<br />
Informationen, Wahrnehmungen, Beobachtungen <strong>und</strong> Zeichen immer auch Informationen<br />
über Ereignisse <strong>und</strong> Zustände gewonnen, die nicht so direkt zugänglich sind. Manifeste<br />
Zeichen z.B. werden dann zu Anzeichen (oder <strong>Spuren</strong>). Nichts ist an sich Anzeichen<br />
oder Spur, aber fast alles kann es werden: einfach, weil es fast nichts gibt, was<br />
nicht mit anderem interagiert <strong>und</strong> <strong>des</strong>sen Anzeichen oder Spur sein könnte. <strong>Spuren</strong>sichern<br />
ist Ausnutzen eines Wissens über Verursachungen <strong>und</strong> andere Korrelationen.<br />
Wer nicht weiß, daß Feuer Rauch produzieren kann, kann Rauch nicht als Anzeichen<br />
für Feuer interpretieren (<strong>und</strong> Feuer auch nicht als ein Anzeichen von Rauch). Wer nicht<br />
weiß, daß häufiger Tritt aus einem Festuco-Crepidetum oder Trifolio-Veronicetum ein<br />
Lolio-Plantaginetum macht, kann Lolio-Plantagineten nicht als Anzeichen häufigen<br />
Betretens lesen (<strong>und</strong> die vielen Leute, die regelmäßig einen Rasen queren, nicht als Anzeichen<br />
eines Trittrasens). Dieses Wissen braucht natürlich nicht unbedingt ein exaktes<br />
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