Spuren und Spurenleser. Zur Theorie und Ästhetik des - repOSitorium
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freilich eher ontologisch <strong>und</strong> vielleicht magisch-idealistisch gemeint waren): Die Blüte<br />
als »Symbol <strong>des</strong> Geheimnisses unseres Geistes«, die Blumenwelt als »die Sieste <strong>des</strong><br />
Geisterreichs« oder, verallgemeinernd: »Das Äußere ist ein in Geheimniszustand erhobenes<br />
Innere«.<br />
Dann erscheint oft eine Art Wunschwelt, die weitgehend inneren Sollwerten entspricht,<br />
<strong>und</strong> das führt in den Beschreibungen durchweg zu einem autoreferentiellen<br />
(statt heteroreferentiellen) Zeichen- <strong>und</strong> Wortgebrauch, zu einem autologischen statt<br />
ontologischen Sprechen, d.h. zu annähernd ästhetischen Semiosen, <strong>und</strong> zwar gerade<br />
auch da, wo der Betrachter ganz bei der Sache zu sein glaubt. Auch Vegetationsbilder<br />
bekommen dann – wie Landschaften – unbemerkt den Charakter von sozusagen blind<br />
gemalten Selbstbildnissen, die die Tagträume ansaugen <strong>und</strong> uns bald schmeicheln, bald<br />
verschrecken, <strong>und</strong> das gilt selbst für die Vegetation <strong>des</strong> Vegetationsk<strong>und</strong>lers <strong>und</strong> die<br />
Landschaft <strong>des</strong> Landschaftsgeographen. Wie sehr dabei sogar die Landschaftskonzepte<br />
<strong>und</strong> Landschaftsbeschreibungen von geographischen Hochschullehrern versehentlich zu<br />
verschlüsselten Selbstbildnissen <strong>und</strong> intimen Autobiographien gerieten, kann man den<br />
narrativen Interviews bei Meder 1985 entnehmen.<br />
2.13.5 Zum Verhältnis von szientifischer <strong>und</strong> ästhetischer Erfahrung<br />
Wie verhalten sich die objektivierende <strong>und</strong> die subjektivierende Wahrnehmung zueinander,<br />
in der Wissenschaft <strong>und</strong> im Unterricht, sei es im Schul-, sei es im Hochschulunterricht?<br />
Wie könnte ein fruchtbares Verhältnis aussehen?<br />
Eine Lösung, die immer wieder einmal im Schwange ist, lautet (zumin<strong>des</strong>t sinngemäß):<br />
Romantische Wissenschaft, in jüngerer Zeit auch »Wiederverzauberung der<br />
Welt« genannt. Auch hinter Namen wie »Hermeneutik der Natur«, »soziale Naturwissenschaft«<br />
oder »ökologische Naturästhetik« steckt ein ähnliches Programm: Eine Art<br />
von alternativer (Natur)Wissenschaft, in der Objektivierung <strong>und</strong> Subjektivierung, objektivierende<br />
<strong>und</strong> ästhetische Erfahrung, naturwissenschaftliche <strong>und</strong> existentielle (psychische,<br />
soziale) Bedeutung konvergieren. Solche Versuche einer Entdifferenzierung<br />
bekommen, wie die moderne Wissenschaftsgeschichte zeigt, regelmäßig etwas bloß<br />
Weltanschaulich-Erbauliches (oder auch etwas Esoterisches <strong>und</strong> Sektenhaftes). Wo die<br />
Dissoziation der Erfahrungsweisen nicht vollzogen oder rückgängig gemacht wird, da<br />
entsteht erfahrungsgemäß leicht eine wertlose Wissenschaft, die zum Ausgleich intime<br />
ästhetische, psychische <strong>und</strong> existentielle Bedürfnisse zu erfüllen verspricht, oder eine<br />
wertlose Kunst, die sinnlose Ansprüche auf Erkenntnis erhebt, <strong>und</strong> zwar meist auf eine<br />
Erkenntnis, die die wissenschaftliche Erkenntnis zu überbieten vorgibt.<br />
Wissenschaftshistorisch gesehen, sind Tagträumerei <strong>und</strong> ästhetische Erfahrung am<br />
wissenschaftlichen Gegenstand vor allem obstacle épistémologique (Erkenntnishindernis).<br />
Gaston Bachelard hat diese negative Funktion intimer (Sub)Semantiken <strong>und</strong> tagträumerischer<br />
Evidenzen an den Naturwissenschaften <strong>des</strong> 18. Jahrh<strong>und</strong>erts (zumal an<br />
der Chemie dieses Jahrh<strong>und</strong>erts) eindrucksvoll beschrieben.<br />
Solche Überschwemmungen der Gegenstände durch primäre <strong>und</strong> intime Evidenzen<br />
sind zwar vor allem Phänomene der Wissenschaftsgeschichte; es wäre aber falsch, in<br />
ihnen nur verjährte Geschichten zu sehen, die (spätestens) seit dem 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
nicht mehr vorkommen können. Der Aufbau <strong>und</strong> die Zerstörung einer phantasmatischen<br />
landschaftlichen Welt in der Geographie <strong>des</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>erts ist eine fast zeitgenössi-<br />
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