Spuren und Spurenleser. Zur Theorie und Ästhetik des - repOSitorium
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Man erwartet zunächst eine Kritik an Versuchen, die Stadtgebiete – nach der Devise<br />
»Leute raus, Experten rein« – mit Natur- <strong>und</strong> Biotopschutz zu überziehen, liest aber<br />
dann, daß die Autoren an etwas ganz anderes denken:<br />
»Das äußert sich z.B. darin, daß bisweilen ernsthaft der Standpunkt vertreten<br />
wird, Freiraumbedürfnisse <strong>und</strong> die ihnen angemessene Form <strong>des</strong> Freiraums könne<br />
man eher durch pflanzengeographische <strong>und</strong> pflanzensoziologische Untersuchungen<br />
<strong>des</strong> städtischen Freiraums als mit den Methoden der empirischen Sozialforschung<br />
ermitteln. Nicht der Mensch, sondern die Natur soll nach den Freiraumbedürfnissen<br />
<strong>des</strong> Menschen gefragt werden«. (ebd.)<br />
Aufs höchste gespannt, wer es wohl sein könnte, der heutzutage »ernsthaft« einen solchen<br />
animistischen Unsinn vertritt (<strong>und</strong> »die Natur nach den Freiraumbedürfnissen <strong>des</strong><br />
Menschen fragen« will usw.), fand ich mich zu meinem Erstaunen <strong>des</strong> Langen <strong>und</strong><br />
Breiten selber zitiert, <strong>und</strong> zwar mit diesem Text:<br />
»Einem Vegetationsgeographen liegt die Empfehlung nahe, daß man sich nicht so<br />
sehr auf Befragungen <strong>und</strong> andere reaktive Verfahren (mit ihren immer zahlreichen<br />
<strong>und</strong> schwer kontrollierbaren Reduktions- <strong>und</strong> Verzerrungstendenzen) stützen<br />
sollte, sondern mehr auf genaue Beobachtungen in jedem Einzelfall – <strong>und</strong> das<br />
praktischste nicht-reaktive Verfahren besteht sicher darin, die Nutzungsspuren in<br />
der spontanen (<strong>und</strong> in der angebauten) Vegetation zu lesen«. (Hard 1983, S. 103;<br />
Wiederabdruck Hard 1990)<br />
In meinem Text steht nichts von dem, was die beiden Soziologen darin gef<strong>und</strong>en haben<br />
wollen: weder eine Ablehnung der »Methoden der empirischen Sozialforschung«, noch<br />
eine Aufforderung, »die Natur« (statt »den Menschen«) nach Freiraumbedürfnissen zu<br />
befragen. Dagegen kann man meinem Text ohne weiteres entnehmen, daß man die<br />
Leute »nicht so sehr« befragen, sondern mehr beobachten solle – weil Beobachten unter<br />
gewissen Vorkehrungen weniger verzerrte, weniger invalide <strong>und</strong> weniger »artifizielle«<br />
Ergebnisse liefert, <strong>und</strong> daß man dabei nicht nur die Nutzer, sondern vor allem ihre <strong>Spuren</strong><br />
(Nutzungsspuren) beobachten solle, weil dies die »praktischste« Methode sei. Sie<br />
ist in der Tat fast immer <strong>und</strong> überall anwendbar, <strong>und</strong> oft genügt ein geübter Blick. 23<br />
Befragung, Verhaltensbeobachtung <strong>und</strong> Beobachtung von Verhaltensspuren (»<strong>Spuren</strong>lesen«)<br />
können in diesem Zusammenhang gleichermaßen als »Methoden der empirischen<br />
Sozialforschung« aufgefaßt werden. Beim <strong>Spuren</strong>lesen handelt es sich jedoch um<br />
ein Verfahren, das eben nicht (wie »Befragen« fast in jedem Fall <strong>und</strong> »Verhaltensbeobachtung«<br />
nicht selten) auf meist unkontrollierbare Weise »reaktiv« ist, d.h. sensibel<br />
auf die Forschungssituation reagiert <strong>und</strong> <strong>des</strong>halb oft eher ein »Verhalten in der Forschungssituation«<br />
als ein »Verhalten außerhalb der Forschungssituation« (z.B. ein Verhalten<br />
im Freiraum) mißt.<br />
23 Der Text von 1983 erwähnt auch einen weiteren Vorteil der Beobachtung vor der Befragung: Beobachtung<br />
bezieht sich auf konkretes Verhalten in konkreten Freiräumen, während sich die im Wohnzimmer befragten<br />
Männer durchweg auf reaktiv imaginiertes Freiraumverhalten in imaginierten abstrakten Freiräumen<br />
beziehen.<br />
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