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Spuren und Spurenleser. Zur Theorie und Ästhetik des - repOSitorium

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In der sozialwissenschaftlichen Literatur über die Anwendung nicht-reaktiver Verfahren<br />

wird gelegentlich vorgeschlagen, Leseinteressen von Kindern (z.B. ihr Interesse<br />

an bestimmten Buchseiten <strong>und</strong> Lexikonartikeln) nicht durch Befragung <strong>und</strong> direkte Beobachtung<br />

von Kindern, sondern an den Nutzungsspuren (abgegriffenen Seiten etc.) zu<br />

messen, die sie bei ihrer Lektüre hinterlassen. Gröning & Wolschke-Bulmahn müßten<br />

argumentieren, hier solle »nicht das Kind, sondern die Natur«, nämlich die Zellulose,<br />

»nach den Lesebedürfnissen der Kinder befragt werden«, <strong>und</strong> eben <strong>des</strong>halb sei dieses<br />

Verfahren »antisozial« <strong>und</strong> »bewußtlos naturorientiert«.<br />

Kurz, hier regen sich zwei Sozialwissenschaftler darüber auf, daß man ihr beschränktes<br />

<strong>und</strong> gedankenlos auf Freiraumnutzung <strong>und</strong> Freiraumplanung übertragenes<br />

Methodenarsenal durch eine angemessenere Methode bereichern will, die in diesem Fall<br />

die Funktion einer sozialwissenschaftlichen Methode hat <strong>und</strong> die ich im gleichen Aufsatz<br />

an unterschiedlichen Freiräumen illustriert habe. 24<br />

Einen letzten Höhepunkt an Absurdität erreicht die zitierte Apologie einer fragebogenfixierten<br />

Sozialforschung, wenn das vorgeschlagene nicht-reaktive Verfahren als<br />

»antisozial« <strong>und</strong> »bewußtlos naturorientiert« bezeichnet <strong>und</strong> schließlich auch noch mit<br />

der »gegenwärtigen Propagierung eines sogenannten Natur- <strong>und</strong> Ökogartens« in einen<br />

Topf geworfen wird.<br />

Richtiger wäre es zu sagen, daß diese beiden Sozialwissenschaftler methodisch bewußtlos<br />

auf einige Standardverfahren der empirischen Sozialforschung fixiert sind: Vor<br />

allem aufs Befragen. Kein W<strong>und</strong>er, daß man im akademischen Unterricht die Publikationen<br />

dieser »sozialwissenschaftlich orientierten Freiraumplanung«, wie die Autoren<br />

selber sie verstehen (z.B. Seyfang 1980, Spitthöver 1982, Buchholz u.a. 1984), als<br />

überaus eindrucksvolle Musterbeispiele der Produktion von Forschungsartefakten vorführen<br />

kann. Dabei war es doch wirklich leicht vorauszusehen, daß der Versuch, Freiraumnutzungen<br />

<strong>und</strong> »Freiraumeinstellungen« durch Fragebogen zu erheben, fast nur<br />

auf solche Artefakte hinauslaufen kann, die dann mehr über einen unreflektierten Forschungsprozeß<br />

als über die tatsächlichen Freiraumnutzungen erzählen. 25<br />

Dann kriegt auch K.H. Hülbusch (aufgr<strong>und</strong> einer Publikation von 1979) noch sein<br />

Fett ab:<br />

»Und in einer ‚freiraum- <strong>und</strong> landschaftsplanerischen Analyse <strong>des</strong> Stadtgebietes<br />

von Schleswig‘ wird behauptet, da die ‚spontane Vegetation‘ Ausdruck der Nutzung<br />

sei, ‚muß die Vegetation sich auch zur Beschreibung der vorhandenen<br />

24 Daß man beim <strong>Spuren</strong>lesen auch etwas vom materiellen Medium <strong>und</strong> Substrat der Spur verstehen muß<br />

(nämlich von der physisch-materiellen Ausstattung der Freiräume einschließlich ihres Grüns), das versteht<br />

sich von selber. Expertenhafte Vegetationsk<strong>und</strong>e ist dafür oft gar nicht notwendig, ja könnte gelegentlich<br />

sogar schaden; jedenfalls kann ein vegetationsk<strong>und</strong>licher Laie sich alles Nötige leicht aneignen, <strong>und</strong> das<br />

ist sicher weit weniger als das, was z.B. ein Industriesoziologe von der Industrie <strong>und</strong> ein Agrarsoziologe<br />

von der Landwirtschaft verstehen muß.<br />

25 Mit »Artefakten« sind hier Forschungsoutputs gemeint, die durch den Forschungsprozeß selber verzerrt<br />

sind; anders gesagt, Forschungsergebnisse ohne externe Validität, die also nichts über die Wirklichkeit außerhalb<br />

der Forschungssituation sagen (vgl. z.B. Kriz 1981). Wenn sie trotzdem angewendet werden, bewirken<br />

sie bestenfalls gar nichts, meistens aber laufen sie auf zerstörerische Eingriffe hinaus.<br />

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