Spuren und Spurenleser. Zur Theorie und Ästhetik des - repOSitorium
Spuren und Spurenleser. Zur Theorie und Ästhetik des - repOSitorium
Spuren und Spurenleser. Zur Theorie und Ästhetik des - repOSitorium
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
mentalisierten <strong>Spuren</strong>) verfallende <strong>und</strong> bedrohte <strong>Spuren</strong>, die sich, zwischen Abstieg<br />
<strong>und</strong> Verschwinden, oft im Stadium der Verwilderung <strong>und</strong> tendenziell auch im Zustand<br />
von Schuttplätzen <strong>und</strong> Rumpelkammern befinden: Güter ohne Wert (oder sogar von<br />
negativem Wert), eine Art von Müll sozusagen, für <strong>des</strong>sen problemlose Entsorgung<br />
viele oft sehr viel bezahlen würden, der aber bei bestimmten Publika <strong>und</strong> auf bestimmten<br />
Märkten plötzlich einen Nostalgie-, ja Ewigkeitswert erhalten kann. Die herausgeputzten<br />
<strong>Spuren</strong> findet man eher in den konsolidierten Zentren, die verfallenden <strong>und</strong> verschwindenden<br />
<strong>Spuren</strong> nicht zuletzt an den Außenfronten <strong>des</strong> Fortschritts <strong>und</strong> an den<br />
räumlichen Grenzen <strong>des</strong> Wachstums.<br />
Die herausgeputzten, rekonstruierten <strong>und</strong> oft monumentalisierten <strong>Spuren</strong>, auf die die<br />
Leute vor Ort so stolz sind, wurden von den Studenten zum größten Teil ignoriert oder<br />
abgewertet; die <strong>Spuren</strong>sucher haben sich nicht zuletzt den verfallenden <strong>Spuren</strong> gewidmet.<br />
Ironisch <strong>und</strong> etwas negativ gesagt: Die großstädtischen Studenten betrachteten die<br />
kleine Stadt nicht zuletzt als eine Art von architektonischem Flohmarkt. Auch das hat<br />
übrigens Züge von Überheblichkeit, <strong>und</strong> wenn es in Stadt- <strong>und</strong> Denkmalspolitik umgesetzt<br />
wird, läuft es nicht selten ebenfalls auf eine Monumentalisierung von historischen<br />
<strong>Spuren</strong> hinaus, nur unter umgekehrten Vorzeichen.<br />
Wie schon der Vergleich der individuellen Erk<strong>und</strong>ungsgänge, so lenken auch diese<br />
Reflexionen den Blick der <strong>Spuren</strong>sucher vom Gesehenen aufs Nichtgesehene, <strong>und</strong> dieser<br />
Blick muß nun ausgeweitet werden. Man kann z.B. auf das Fehlen ganzer <strong>Spuren</strong>felder<br />
hinweisen – z.B., daß bei den aufgelesenen Geschichtsspuren ein großes <strong>und</strong> bedeutsames<br />
Zwischenstück so gut wie vollständig fehlte: Die Zwischenkriegszeit <strong>und</strong><br />
frühe Nachkriegszeit. Oder man kann auf auffälligerweise übersehene Einzelspuren innerhalb<br />
bestimmter <strong>Spuren</strong>felder aufmerksam machen.<br />
Um nur ein Beispiel herauszugreifen: Die »Kunst im öffentlichen Raum« war unter<br />
den aufgelesenen <strong>Spuren</strong> reichlich vertreten, aber nur die eher niedliche <strong>und</strong> geschwätzige<br />
Form dieser Kunst, in der durchweg eine idyllisierte oder heroisierte, jedenfalls<br />
stilisierte <strong>und</strong> bereinigte Heimat- <strong>und</strong> Stadtgeschichte verbildlicht wird. An einer Stelle<br />
der Fußgängerzone, an der fast alle <strong>Spuren</strong>sucher vorbeigekommen waren, lag aber<br />
auch, ohne Namen <strong>und</strong> Titel, ein ganz anderes Exemplar dieser »Kunst im öffentlichen<br />
Raum«: Ein »modernes Kunstwerk«, eine abstrakte Steinskulptur, wie sie in solchen<br />
postmodern-historistisch herausgeputzten Fußgängermilieus kleiner Städte ziemlich<br />
selten ist. Seltsamerweise fehlen hier Titel <strong>und</strong> Künstlername, aber gerade diese Auffälligkeit<br />
macht den Gegenstand hier noch unauffälliger. Einige Studenten hatten diese<br />
Stelle samt der Skulptur sogar fotografiert: Aber sie wollten dort etwas ganz anderes<br />
festhalten, <strong>und</strong> sogar für diese Fotografen blieb dieser Gegenstand unsichtbar. Gerade<br />
diese unsichtbare Skulptur jedoch führt, richtig als »Überrest« gelesen, auf ein wesentliches<br />
Stück lokaler Kulturgeschichte <strong>und</strong> Kulturpolitik: auf eine ebenso spektakuläre,<br />
konfliktreiche wie symptomatische Begegnung von moderner Kunst <strong>und</strong> öffentlichem<br />
Kunsturteil in einer nordwestdeutschen Kleinstadt »um 1980«.<br />
Woher aber der schiefe Blick der <strong>Spuren</strong>sucher auf die »Kunst im öffentlichen<br />
Raum« <strong>und</strong> ihre Vorliebe für die anspruchloseste Variante dieser Kunst? Wie die Diskussion<br />
zeigte, war das keinesfalls die Folge eines entsprechenden Kunstgeschmacks<br />
auf seiten der Studenten; der Gr<strong>und</strong> lag vielmehr darin, daß sie die erzählenden Denkmäler<br />
lokalhistorischer Ereignisse spontan als <strong>Spuren</strong> der dargestellten Ereignisse selbst<br />
168