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Spuren und Spurenleser. Zur Theorie und Ästhetik des - repOSitorium

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zu Forschungsgegenständen werden? Eine Antwort auf diese Fragen ist natürlich nicht<br />

nur für das Thema »<strong>Spuren</strong>lesen« wichtig, sondern für Forschungs- <strong>und</strong> Lerngegenstände<br />

schlechthin.<br />

Wenn bestimmte, nämlich im weitesten Sinne ästhetisch attraktive Gegenstände <strong>und</strong><br />

Ereignisse eher eine Chance haben, als Spur wahrgenommen, entdeckt <strong>und</strong> erforscht zu<br />

werden, muß man allerdings sofort auch die andere Seite, die Schattenseite dieser<br />

ästhetischen Wahrnehmung sehen: Die »evidenten« <strong>Spuren</strong>, die für den <strong>Spuren</strong>leser<br />

»seine« <strong>Spuren</strong> sind, sorgen immer auch für eine Abschattung oder Nichtwahrnehmung<br />

<strong>und</strong> Verdeckung anderer <strong>Spuren</strong>, die real vielleicht sogar viel aussagekräftiger wären.<br />

Ein Entdecken dieser Art ist immer auch ein Verdecken, <strong>und</strong> je<strong>des</strong> Sichtbarmachen ist<br />

auch ein Unsichtbarmachen. Das gilt schon auf der Wahrnehmungsebene, <strong>und</strong> es gilt<br />

für alle Lern- <strong>und</strong> Untersuchungsgegenstände. Also ist Ästhetisierung immer auch<br />

Anästhetisierung anderswo. Beim Thema <strong>Ästhetik</strong> gilt es also immer, auch die<br />

Schattenseiten oder Folgelasten der ästhetischen Wahrnehmung wahrzunehmen. 69<br />

Ein guter <strong>Spuren</strong>leser <strong>und</strong> ein kunstgerechtes <strong>Spuren</strong>lesen muß die ästhetische Dimension<br />

also schon aus Erkenntnisgründen zum Thema machen. Wenn man es auf der<br />

allgemeinsten Ebene formuliert, heißt das: Der <strong>Spuren</strong>leser muß versuchen, nicht nur zu<br />

beobachten, sondern auch sein Beobachten zu beobachten, um dann in einem zweiten<br />

Durchgang auch etwas von dem beobachten zu können, was er im ersten Durchgang als<br />

naiver »Beobachter 1. Gra<strong>des</strong>« nicht beobachten konnte, eben weil er unter anderem<br />

von unaufgeklärten ästhetischen Attraktionen geblendet oder abgelenkt war. Dieser Teil<br />

<strong>des</strong> context of discovery gehört also unbedingt mit zur Methodologie, zur kognitiven<br />

Seite es <strong>Spuren</strong>lesens.<br />

Das Thema »<strong>Ästhetik</strong>« ist hier aber auch noch aus anderen Gründen wichtig. Erstens:<br />

Es klärt uns günstigenfalls darüber auf, was uns allererst an unseren Gegenstand<br />

fesselte; folglich gehört es zur Selbstreferenz beim <strong>Spuren</strong>lesen, zu dem, was man<br />

»<strong>Spuren</strong>lesen auf der Subjektebene« nennen kann. Zweitens: Ästhetische Wahrnehmungen,<br />

Ziele <strong>und</strong> Argumentationen spielen auch in Texten zur Landschaftsplanung,<br />

Freiraumplanung <strong>und</strong> Landschaftsarchitektur in offener oder verdeckter Form eine große<br />

Rolle, auch unter Begriffen wie »Gestaltung« <strong>und</strong> »Kunst«, »Landschaftsbild« <strong>und</strong><br />

»Landschaftsbildbewertung« 70 . Was ist mit dieser »ästhetischen Dimension« gemeint,<br />

69 Zum Thema »keine aisthesis ohne anaisthesis« vgl. z.B. auch Welsch 1991. – Um der Klarheit willen<br />

schreibe ich ästhetisch usf., wenn es um <strong>Ästhetik</strong> im üblichen Sinne geht, aber aisthetisch, wenn auf die<br />

alte, viel weitere Bedeutung von aisthesis (in etwa: »Wahrnehmung«) angespielt werden soll. »Ästhetisierung«<br />

meint dann also: Zum Gegenstand ästhetischer Wahrnehmung machen, etwas ästhetisch betrachten;<br />

»Aisthetisierung« heißt: etwas zu einem Gegenstand der Wahrnehmung schlechthin machen.<br />

Wenn etwas aus dem Bereich der wahrgenommenen Gegenstände fällt, ist von Anaisthetisierung die Rede,<br />

wenn etwas aus dem Bereich der ästhetisch wahrgenommenen Gegenstände fällt, ist von Anästhetisierung<br />

die Rede. Entsprechen<strong>des</strong> gilt für ästhetisch-aisthetisch usw. Das oben im Text Gesagte kann dann so umformuliert<br />

werden: Jede Ästhetisierung bedeutet gemeinhin Anästhetisierung <strong>und</strong> Anaisthetisierung anderswo.<br />

Durch solche Wortwahl vermeidet man auch das Verwaschenwerden <strong>und</strong> Auslaufen <strong>des</strong> Begriffs<br />

»ästhetisch« <strong>und</strong> hält eine wesentliche Differenz im Bewußtsein.<br />

70 Schon die stark ästhetischen Konnotationen von »Landschaft« in »Landschaftsarchitektur«, »Landschaftspflege«,<br />

»Landschaftsplanung« usw. deuten <strong>und</strong> wirken darauf hin; vgl. z.B. Hard 1969, 1991.<br />

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