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Spuren und Spurenleser. Zur Theorie und Ästhetik des - repOSitorium

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Voraussetzung zuläßt, daß Beobachtung <strong>und</strong> Produktion <strong>des</strong> Zeichens auf unterschiedlichen<br />

zeitlichen Ebenen liegen, aber nun die Zeichenproduktion wenigstens teilweise<br />

einer früheren zeitlichen Ebene (einer Vergangenheit) zuschreibt <strong>und</strong> nicht der Gegenwart<br />

(d.h. den aktuellen Umweltbedingungen bzw. der gegenwärtigen Beobachtungssituation).<br />

Er schreibt die Produktion <strong>des</strong> originären Zeichens dann also einem historischen,<br />

nicht dem gegenwärtigen Standort oder Milieu zu.<br />

Diese Lesart eines Bestan<strong>des</strong> als historisches Zeichen ist zwar nicht die Standard-<br />

Semiose <strong>des</strong> Vegetationsk<strong>und</strong>lers, aber sie ist hier aufgr<strong>und</strong> valider Indizien die bessere<br />

als die zu Beginn genannte Lesart als diagnostisches Zeichen. Wenn der Bestand auf<br />

diese Weise als historisches Zeichen gelesen ist, dann kann auch ein die Realität besser<br />

treffen<strong>des</strong> diagnostisches Zeichen konstituiert werden: Dann bedeutet der Bestand z.B.<br />

nicht mehr »gegenwärtige Trittbelastung«, sondern »gegenwärtige Extensivierung (aber<br />

früher Trittbelastung)«. Das ist natürlich ein »alter Witz«: Nach dem Blick auf die Geschichte<br />

muß gelegentlich die Diagnose revidiert werden. Semiotisch gesprochen: Es ist<br />

nützlich, über einem Gegenstand mehrere Gattungen von Zeichen zu konstituieren, die<br />

sich dann gegenseitig kontrollieren <strong>und</strong> korrigieren können.<br />

Ökologisch gesehen, beruht die Lesbarkeit der Vegetation als historisches Zeichen<br />

darauf, daß die Prozesse in den einzelnen Teilen eines Ökosystems sozusagen auf unterschiedlichen<br />

Zeitskalen ablaufen. Manche Teile (z.B. Arten <strong>und</strong> Artengruppen) reagieren<br />

sensibel, andere träge auf Veränderungen <strong>des</strong> Milieus <strong>und</strong> auf Sukzessionsbedingungen<br />

46 . Wenn sich die Umwelt ändert oder eine Sukzession abläuft, dann<br />

zeigen z.B. gerade dominierende, einmal etablierte Arten, zumal die Konkurrenzstrategen<br />

unter ihnen, hohe Ausdauer auf Wuchsorten, die eigentlich für andere Arten<br />

geeigneter wären. Sie haben sozusagen nur eine begrenzte Resonanzfähigkeit, sind (um<br />

einen Ausdruck aus der Feldbodenk<strong>und</strong>e zu benutzen) »schlechte Zeichner«, zumin<strong>des</strong>t<br />

für bestimmte Umweltbedingungen.<br />

Diese ökologische Regel wirkt konservativ-konservierend. Sie fördert Stabilitäten<br />

auf der Zeitachse auf Kosten von Innovation. Auf diese Weise entstehen »Relikte« <strong>und</strong><br />

ermöglichen die Konstitution von »historischen (Vegetations)Zeichen«.<br />

Mit der Alternative diagnostisches/historisches Zeichen sind die Möglichkeiten der<br />

Semiose (der Zeichenkonstitution) aber noch nicht erschöpft. Jeder Vegetationsbestand<br />

kann auch noch als »futurologisches Zeichen« gelesen werden.<br />

Wie beim diagnostischen Zeichen ist auch das meistens wieder eine ziemlich routinisierte<br />

vegetationsk<strong>und</strong>liche Zeichenkonstitution, denn sie kann wieder auf einen einfachen<br />

Kode von »Zeigerartengruppen« zurückgreifen, der dem Vegetationsk<strong>und</strong>ler zumin<strong>des</strong>t<br />

dann geläufig ist, wenn er sich in eine bestimmte Vegetation eingearbeitet hat.<br />

Um es am vorliegenden Fall zu illustrieren: In den genannten Mäusegersterasen sind<br />

wie so häufig einzelne Exemplare von Arten eingewachsen, die zu den Ruderalstauden<br />

gehören, also zu demjenigen Sukzessionsstadium, das in der Ruderalsukzession auf das<br />

Hordeetum oft oder sogar normalerweise folgt (Beifuß, Rainfarn, Klette, Große Brenn-<br />

46 Fast alle Organismen reagieren gr<strong>und</strong>sätzlich langsamer als die Parameter, die sie eigentlich anzeigen sollen<br />

(<strong>und</strong> können so auch viele kurzfristige Schwankungen dieser Parameter gar nicht mitvollziehen); das<br />

ist ja eine der vielen Schwierigkeiten mit »Zeigerwerten«, überhaupt mit Bio-Indikatoren. Zu diesen Fragen<br />

der Indikation vgl. schon die klaren Feststellungen bei Zonnefeld 1982.<br />

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