Spuren und Spurenleser. Zur Theorie und Ästhetik des - repOSitorium
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neswegs handelte es sich um ein Plädoyer für eine Anreicherung der wissenschaftlichen<br />
Erfahrung oder <strong>des</strong> Unterrichts – oder auch nur <strong>des</strong> <strong>Spuren</strong>lesens <strong>und</strong> der Vegetationsk<strong>und</strong>e<br />
– mit mehr Emotion <strong>und</strong> <strong>Ästhetik</strong>. Noch weniger sollte eine ästhetische (gestalterische,<br />
künstlerische ...) Komponente der Freiraumplanung eingefordert, gestärkt oder<br />
auch nur gutgeheißen werden. Das letztgenannte Thema – <strong>Ästhetik</strong> in der Freiraumplanung<br />
– wurde vielmehr kaum angeschnitten. Vielleicht sind aber ein paar Bemerkungen<br />
dazu nützlich, die sich ziemlich direkt aus dem vorangehenden Kapitel ergeben.<br />
Eine ästhetische Einstellung <strong>und</strong> Erfahrung ist beim Stadtbewohner <strong>und</strong> Stadtnutzer,<br />
der städtische Freiräume nutzt, ein punktuelles, seltenes <strong>und</strong> unalltägliches Ereignis.<br />
Und diese ästhetischen Erfahrungen können sich, wenn sie denn auftreten, an allem<br />
entzünden, nicht nur an dem, was eigens für ästhetische Erfahrung zubereitet wurde.<br />
Aus Gründen, die ich nicht erörtere, stimuliert das für ästhetische Ausnahmeerfahrung<br />
Zubereitete gemeinhin nicht zu solchen ästhetischen Erfahrungen oder höchstens zu den<br />
trivialsten <strong>und</strong> flachsten. Die städtischen Freiräume, ihr Mobilar <strong>und</strong> ihre Vegetation als<br />
ästhetische Zeichen <strong>und</strong> Stimuli zu präparieren, das bedeutet im allgemeinen, dem Alltagsweltler<br />
den Alltag (d.h. sein Leben in natürlicher, nicht-ästhetischer Einstellung)<br />
schwieriger zu machen, ohne ihn aber dafür durch besonders erfreuliche <strong>und</strong> erwünschte<br />
ästhetische Erlebnisse zu entschädigen. Die ästhetischen Zeichen sind durchweg<br />
unsichtbar, <strong>und</strong> wenn sie sichtbar werden, dann nicht als Gegenstände ästhetischer<br />
Erfahrung, sondern am ehesten als quälende Hindernisse alltäglicher Routinen. Diese<br />
Schlußbemerkung sollte Mißverständisse verhindern; aber sie sollte ihrerseits nicht so<br />
mißverstanden werden, als sei es überflüssig, in Freiraum- <strong>und</strong> Landschaftsplanung<br />
sehr intensiv über <strong>Ästhetik</strong> <strong>und</strong> ästhetische Erfahrungen nachzudenken.<br />
2.14 Warnung vor zu schönen <strong>Spuren</strong><br />
2.14.1 Der schöne Tod eines <strong>Spuren</strong>lesers<br />
»Von den vielen Problemen, die Lönnrots furchtlosen Scharfsinn beschäftigten«, so beginnt<br />
die Geschichte, »war keines so eigenartig – sagen wir: rigoros eigenartig – wie die<br />
periodische Serie von Bluttaten, die in der Villa Triste-le-Roy, inmitten <strong>des</strong> immerwährenden<br />
Duftes der Eukalyptusbäume, ihren Höhepunkt erreichte.« (Borges, Fiktionen,<br />
S. 117) 74<br />
Der Plot fällt typischerweise mit einer Leiche ins Haus. In einem Hotel von der Form<br />
eines Turms, »der das scheußliche Weiß eines Sanatoriums, die numerierte Teilbarkeit<br />
eines Gefängnisses <strong>und</strong> den allgemeinen Anschein eines Bordells in sich vereinigt«,<br />
wird der Rabbi Dr. Marcel Yarmolinsky aus Podolsk, Delegierter zum Dritten Talmudischen<br />
Kongreß, ermordet aufgef<strong>und</strong>en, <strong>und</strong> zwar in seinem Zimmer »gegenüber der<br />
suite, die nicht ohne Pomp der Tetrarch von Galiläa bewohnte«.<br />
74 Die Zitate sind der seit 1991 im Fischer Taschenbuch Verlag erscheinenden Ausgabe entnommen, die dort<br />
noch nicht enthaltenen stammen aus den bei Hanser erschienenen »Gesammelten Werken«.<br />
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