Spuren und Spurenleser. Zur Theorie und Ästhetik des - repOSitorium
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Natur« zu tun haben. (Bei den anderen Kategorien steht es ähnlich: Die 43,6% »ruhebetonten<br />
Freiraumnutzungen« z.B. sind von der einen Frage zur andern auf 6,1% »ruheorientierte<br />
Freiraumnutzungsmotive« schrumpft – <strong>und</strong> so geht es weiter.) Aber dann<br />
wurde auch noch das reale Verhalten im Freiraum beobachtet, <strong>und</strong> siehe da: Bei den<br />
»Einzelaktivitäten der beobachteten Erwachsenen in den wohnungsbezogenen Freiräumen«<br />
(S. A 84) wurden überhaupt keine Naturgenießer, Naturfre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Naturbeobachter<br />
mehr registriert. – Der größte Teil der zugehörigen sozialwissenschaftlichen<br />
Texte besteht dann darin, die eigenen Artefakte zu verschleiern.<br />
Die anzukreuzenden »Naturgenuß-<strong>und</strong>-Naturbeobachtungs-Statements« lauteten:<br />
»Wenn ich mich dort aufhalte, genieße ich die Schönheit der Bäume, Blüten <strong>und</strong> Sträucher«;<br />
»Ich beobachte die jahreszeitlichen Veränderungen in den Grünanlagen <strong>und</strong><br />
Freiflächen«. Wie nicht anders zu erwarten, rekrutieren sich die »Ästheten« (Seyfang)<br />
unter den Befragten vor allem aus den Angehörigen der sozialen Unter- <strong>und</strong> Mittelschicht,<br />
kaum aus den Oberschichten (S. A 81, Tabelle A 18), <strong>und</strong> die Häufigkeit, mit<br />
der das Motiv »Schönheit« (Seyfang), d.h. Naturschönheit, genannt wurde, korreliert<br />
negativ mit der Höhe <strong>des</strong> Einkommens (ebd., Tabelle A 17). Je höher das Einkommen,<br />
umso geringer der freudige Genuß der Schönheit <strong>des</strong> Abstandsgrüns. Difficile est satiram<br />
non scribere. Es sei vorsichtshalber daran erinnert, daß der Nonsense nicht in den<br />
Daten selber steckt (sie sind durchaus interpretierbar – nämlich als Artefakte der Methoden);<br />
er ist ein Produkt der interpretierenden Freiraumforscher, die die externe Validität<br />
der erhobenen Daten bis zur Absurdität hin überschätzen, d.h. als Information über<br />
die Wirklichkeit außerhalb <strong>des</strong> Fragebogens lesen.<br />
Im Überblick über diese Literatur kann man resümieren: In diesen Grünplanungs-<br />
Interviews werden durchweg Meinungen nicht festgestellt, sondern produziert, zumin<strong>des</strong>t<br />
bei einem großen Teil der Befragten. Günstigenfalls hatten die Befragten Gelegenheit,<br />
sich in einem Relevanz- <strong>und</strong> Meinungssystem zu plazieren, das von Freiraumplanern<br />
im Sinne üblicher Grünplanung vorkonstruiert war. Zumin<strong>des</strong>t kann man sagen:<br />
Rudimentäre Meinungen über Themen, die im Alltag <strong>und</strong> im alltäglichen Kommunizieren<br />
der Befragten ganz marginal sind, erhalten ein unrealistisches Gewicht, diffuse<br />
<strong>und</strong> instabile Meinungen <strong>und</strong> Einstellungen eine scheinbare Bestimmtheit <strong>und</strong> Stabilität.<br />
Um eine pointierte, aber in den vorliegenden Arbeiten belegbare Vermutung darüber<br />
zu äußern, was da – durch »sozialwissenschaftlich orientierte Freiraumplanung« –<br />
eigentlich produziert oder reproduziert wird: das belief system der Profession selber.<br />
Wie aus einem projektiven Test kommen den Freiraumforschern vor allem ihre eigenen<br />
Meinungen entgegen. Eben dies machte vermutlich auch die innerprofessionelle Attraktivität<br />
dieser »sozialwissenschaftlich orientierten Freiraumplanung« aus. Wieder<br />
pointiert gesagt: Nach innen war sie eine Form der Selbstbestätigung der Profession<br />
<strong>und</strong> ihres Meinungssystems, nach außen eine Form der Professionspropaganda. Ein valider<br />
Ersatz für die beschriebene, »spurenlesende« Freirauminspektion ist sie sicher<br />
nicht.<br />
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