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Spuren und Spurenleser. Zur Theorie und Ästhetik des - repOSitorium

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<strong>und</strong> detailliertes wissenschaftliches Wissen zu sein; auch ein Alltagsweltler kann z.B.<br />

nicht nur Rauch, sondern auch Trittrasen erkennen.<br />

<strong>Spuren</strong>lesen beruht auf einem Wissen über Sachzusammenhänge. Man benutzt z.B.<br />

ein Wissen über Ursache-Wirkung-Relationen <strong>und</strong>/oder Handlungsabfolgen <strong>und</strong> liest<br />

Wirkungen als Signifikanten, die für etwas anderes stehen, z.B. für ihre Ursachen im<br />

weitesten Sinne. Der <strong>Spuren</strong>leser verwandelt Wirkungen (z.B. Fußabdrücke <strong>und</strong> Pflanzengesellschaften)<br />

in Signifikanten, deren Signifikat ihre Ursache oder Genese ist. Eine<br />

Spur lesen (kodieren) kann heißen: Ein Explanans suchen <strong>und</strong>/oder finden, <strong>und</strong> dieses<br />

Explanans kann eine ganze Geschichte sein.<br />

<strong>Spuren</strong> sind also Zeichen bestimmter Art. Folglich ist <strong>Spuren</strong>lesen eine besondere<br />

Art von Zeichenlesen (<strong>und</strong> »<strong>Spuren</strong> produzieren« ist eine besondere Art von »Zeichen<br />

produzieren«). Zeichenlesen besteht, ganz allgemein gesagt, darin, daß bestimmte Signifikanten<br />

(materielle Bedeutungsträger) mittels eines Ko<strong>des</strong> mit bestimmten Signifikaten<br />

(Bedeutungen, geistigen Inhalten usf.) korreliert werden. <strong>Spuren</strong>lesen besteht entsprechend<br />

z.B. darin, daß bestimmte Signifikanten mit bestimmten Ursachen <strong>und</strong> Verursachern,<br />

Handlungen <strong>und</strong> Geschichten korreliert werden.<br />

Im Anschluß an Eco kann man die »Anzeichen« <strong>und</strong> »<strong>Spuren</strong>« im weitesten Sinne<br />

einteilen in (1.) »Abdrücke«, (2.) »Indizien« <strong>und</strong> (3.) »Symptome« (oder »Anzeichen<br />

im engeren Sinne«). Die elementarsten Fälle kann man so beschreiben: Abdrücke sind<br />

Projektionen von Merkmalen eines <strong>Spuren</strong>verursachers (z.B. seiner Schuhgröße<br />

<strong>und</strong>/oder seines Gewichts) in das Substrat der Spur (z.B. eine Schnee- oder eine Vegetationsdecke).<br />

Indizien sind vom <strong>Spuren</strong>verursacher hinterlassene Objekte (oder den<br />

Objekten aufgeprägte Objektmerkmale): z.B. Cola-Dosen oder eine veränderte Artenkombination.<br />

Im Fall von Abdruck <strong>und</strong> Indiz wird auf eine vergangene Kausal- <strong>und</strong><br />

Kontiguitätsbeziehung geschlossen, dagegen sind Symptome oder Anzeichen i.e.S. im<br />

einfachsten Fall Wirkungen anwesender Ursachen. Die stereotypen Lehrbuchbeispiele<br />

lauten: Flecken sind ein Symptom für Masern, Rauch ist ein Anzeichen für Feuer. So<br />

kann man aber auch ein Lolio-Plantaginetum als ein Anzeichen für das regelmäßige<br />

Betreten eines Festuco-Crepidetum betrachten.<br />

So wie erst die Interpretation (die Art der Kodierung) darüber entscheidet, ob etwas<br />

Zeichen oder Spur ist, so entscheidet auch erst die Interpretation darüber, ob etwas Abdruck,<br />

Indiz oder Symptom ist. Man kann das am Beispiel Lolio-Plantaginetum leicht<br />

erkennen.<br />

Der Terminus »Spur« wird oft als Oberbegriff, d.h. im Sinne von »Anzeichen im<br />

weitesten Sinne« benutzt, oder auch nur für »Abdrücke« <strong>und</strong> »Indizien«. In unserem<br />

Zusammenhang empfiehlt sich aber noch ein anderer oder zusätzlicher Sprachgebrauch.<br />

Davon ist im Folgenden die Rede.<br />

Beim »Lesen« von Abdrücken <strong>und</strong> Symptomen kann man oft auf systematische <strong>und</strong><br />

stabile Ko<strong>des</strong> zurückgreifen. Für medizinische Symptome <strong>und</strong> Tierfährten z.B. gibt es<br />

Bestimmungsbücher, <strong>und</strong> die entsprechenden Professionen lernen die entsprechenden<br />

Ko<strong>des</strong> für ihre »Alltagspraxis« oft auswendig. In anderen Fällen sind auch Abdrücke<br />

sowie Symptome <strong>und</strong> Anzeichen nicht vorherkodiert. Arten <strong>und</strong> Artenkombinationen<br />

z.B. sind oft (mehr oder weniger) gut kodiert hinsichtlich bestimmter Standortfaktoren,<br />

aber nicht im Hinblick auf menschliche Handlungen, Intentionen, Lebensformen <strong>und</strong><br />

Lebensverhältnisse usf. Indizien wiederum sind nur selten systematisch kodiert. Ihre<br />

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