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Spuren und Spurenleser. Zur Theorie und Ästhetik des - repOSitorium

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F.: Und da hast du bei dieser Gelegenheit auch mal eine Möglichkeit gesehen,<br />

Licht in diese ja ... Familienangelegenheit, in diese Familiensaga hineinzubringen?<br />

J.: Ja ... ... ... also, wenn man vorher nichts davon gehört hätte, dann hätte man<br />

(!) sich vielleicht (!) auch nicht mehr so intensiv damit beschäftigt. Das stimmt.<br />

F.: Ja, Du sagtest ja auch, als der Kleingärtner dieses Thema angeschnitten hätte,<br />

da hätte es bei Dir Klick gemacht <strong>und</strong> da sei Dir das eingefallen.<br />

J.: Ja, also, von mir aus, als ich das Klöcknergelände von den Pflanzen aus untersucht<br />

hatte, hatte ich nicht so unmittelbar (!) daran gedacht, aber als der<br />

Kleingärtner mir das dann erzählte, da kam das dann irgendwie, die Erinnerung<br />

an diese Geschichten, <strong>und</strong> dann habe ich gedacht, geh mal dem weiter nach <strong>und</strong><br />

guck mal, ob man zur Geschichte dieses Lagers noch andere Unterlagen oder<br />

Materialien finden kann. Dann (...)<br />

Nachdem er die Vorgeschichte expliziert hat, ist Jörn nun bereit, dieser Vorgeschichte,<br />

seiner »Familiensaga« <strong>und</strong> seiner persönlichen »Erinnerung« – also dem, war er zuerst<br />

als »was Privates« aus seiner Geschichte heraushalten wollte – eine größere Bedeutung<br />

zuzugestehen als zuvor: Wenn auch noch immer mit ziemlich vorsichtigen <strong>und</strong> rückzugsbereiten<br />

Formulierungen. Man kann aber sagen, daß der <strong>Spuren</strong>leser seine Geschichte,<br />

wie er »von seinen Pflanzengesellschaften zu dieser Mauer <strong>und</strong> zu den russischen<br />

Zwangsarbeiter gekommen ist«, nun ent-ontologisiert <strong>und</strong> ein gutes Stück weit<br />

ent-idealisiert hat – <strong>und</strong> daß er auf dem Wege ist, in seiner Geschichte auch sich selbst<br />

zu entdecken.<br />

Dabei fällt aber auch innerhalb seiner Geschichte ein Kontrast auf, auf den ich ihn<br />

später mit Erfolg aufmerksam machte: In seiner autobiographischen Erzählung formuliert<br />

er schnörkellos, daß das, woran man sich im Familienkreis erinnert <strong>und</strong> was man<br />

sich dort erzählt, stark davon abhängt, welche persönliche Perspektive die Erzähler jeweils<br />

haben. Hier fällt ihm das Historisieren <strong>und</strong> Perspektivieren leicht. Demgegenüber<br />

ist es auf den ersten Blick erstaunlich, wie lange er zögerte, das eigene <strong>Spuren</strong>lesen auf<br />

ähnliche Weise zu relativieren. Im Blick auf das Handeln anderer fällt es eben meist<br />

viel leichter, Beobachter 2. Gra<strong>des</strong> zu sein.<br />

Mit dem letzten zitierten Wort <strong>des</strong> Interviews (»Dann«) hebt Jörn an, seinen Forschungsgang<br />

zu beschreiben, <strong>und</strong> schon nach wenigen Sätzen wird deutlich, daß er vorhat,<br />

ihn ebenso objektivistisch <strong>und</strong> unpersönlich zu inszenieren wie zu Beginn <strong>des</strong> Interviews<br />

den Prozeß der <strong>Spuren</strong>- <strong>und</strong> Themenfindung. Schon in seinem ersten Satz haben<br />

sich alle Kontakte <strong>und</strong> F<strong>und</strong>e in »Unterlagen <strong>und</strong> Materialien« verwandelt. Da<br />

bringt ein Einhaken der Interviewerin noch etwas Wichtiges an den Tag:<br />

F.: Also genau, wen hast Du zuerst angesprochen?<br />

178<br />

J.: Ja ... zuerst ... ja, wie ging das denn ... Zuerst bin ich, hab ich mit meinem Onkel<br />

telefoniert, also mit dem, der mir immer erzählt hatte, daß es denen damals so<br />

schlecht gegangen ist, <strong>und</strong> hab ihn gefragt, ob er da noch mehr zu sagen kann.<br />

Und da sagte er mir dann (...)

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