Spuren und Spurenleser. Zur Theorie und Ästhetik des - repOSitorium
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physisch-materiellen Ergebnisse, Folgen, <strong>Spuren</strong> menschlicher Tätigkeit heißen, ob sie<br />
intendiert waren oder nicht, ob sie aus lebenden oder aus toten Gegenständen bestehen.<br />
Engere Artefakt-Begriffe empfehlen sich wohl weniger, z.B. die Einschränkung auf intendierte<br />
<strong>und</strong> nichtlebendige (»tote«) Gegenstände, ebensowenig sehr weite Artefakt-<br />
Begriffe, in die auch im engeren Sinne soziale Gegenstände (z.B. Institutionen) <strong>und</strong><br />
»geistige Gegenstände« (z.B. Ideen <strong>und</strong> <strong>Theorie</strong>n) einbezogen sind.<br />
Bei der Verwendung <strong>des</strong> Terminus »Artefakt« ist es nützlich, nicht nur Gegenstände,<br />
d.h. Merkmalsträger, sondern auch Merkmale »Artefakte« oder »artifiziell« zu nennen,<br />
wenn sie die genannten Bedingungen erfüllen. Dann kann man nicht nur Vegetationsbestände<br />
<strong>und</strong> Vegetationstypen, sondern der Genauigkeit halber auch ganz bestimmte<br />
Merkmale von ihnen als »artifiziell«, andere aber als nicht-artifiziell bezeichnen. Überhaupt<br />
ist es weitgehend eine Sache der Perspektive <strong>und</strong> der Akzentuierung, ob <strong>und</strong> inwieweit<br />
ein Gegenstand oder ein Merkmal Artefakt oder nicht Artefakt, »künstlich«<br />
oder »natürlich«, »von selbst entstanden« oder »menschengemacht« sind; je<strong>des</strong> Artefakt,<br />
selbst ein Buch, ein Stuhl <strong>und</strong> eine Mauer (<strong>und</strong> mehr noch natürlich ein Vegetationsfleck<br />
in der Kulturlandschaft) sind nur in bestimmten Hinsichten <strong>und</strong> in bezug auf<br />
bestimmte Merkmale Artefakte, in anderen Hinsichten, z.B. auf mineralogischer, molekularer<br />
<strong>und</strong> atomarer Ebene, aber nicht.<br />
2.9.2 »Quelle« <strong>und</strong> »Spur«<br />
Das banale Beispiel illustriert auch, wie wichtig es ist, historische Zeichen als »<strong>Spuren</strong>«<br />
<strong>und</strong> nicht als »Quellen« aufzufassen. Der Terminus »Quelle« suggeriert leicht, es komme<br />
vor allem auf das »Ursprüngliche« <strong>und</strong> »Ursprünglichste« am historischen Zeichen<br />
an, auf das 1Original (hier also z.B. auf den ursprünglichen »reinen« Zierrasen <strong>und</strong> seine<br />
Genese); was dann komme, sei eine Art von Zerfallsprozeß dieses Originals bis zum<br />
irgendwie »verderbten« gegenwärtigen Zustand. Wenn man dagegen »Spur« sagt, ist<br />
leichter zu sehen, daß es nicht nur um die Ursprungs-, sondern auch die Überlebens<strong>und</strong><br />
Entwicklungsgeschichte geht. Die ganze Geschichte der Spur ist wesentlich. Wie<br />
d’Haenens sagt: Je<strong>des</strong> historische Zeichen interessiert als eine Abfolge von traçages<br />
<strong>und</strong> effaçages (<strong>Spuren</strong>erzeugungen <strong>und</strong> <strong>Spuren</strong>verwischungen). 62 So wurde die Spur<br />
immer bedeutungsvoller, während die originale Substanz (die Zierrasenansaat) bis auf<br />
winzige Reste zusammenschmolz. 63<br />
62 Das erinnert an eine der vielen geographischen Metaphern für die Kulturlandschaft: »Palimpsest«, d.h.<br />
codex rescriptus. Das heißt, eine kostbare Schreibunterlage (Pergament) wurde mehrfach beschrieben, indem<br />
die ältere Beschriftung immer wieder ganz oder teilweise gelöscht wurde, manchmal für immer, aber<br />
manchmal auch so, daß die ausradierte Schrift vom Historiker-<strong>Spuren</strong>leser wieder sichtbar gemacht werden<br />
kann. Auch in der Vegetationsk<strong>und</strong>e wurde der Ausdruck »Palimpsest« wenigstens schon einmal benutzt,<br />
<strong>und</strong> zwar bezeichnenderweise für städtische Brachen (»urban commons«): Deren floristischsoziologische<br />
Diversität sei ein »palimpsest effect« (Gilbert 1991).<br />
63 Diese Anreicherung mit Bedeutung gilt primär natürlich nur aus der Perspektive <strong>des</strong> Historikers (hier: <strong>des</strong><br />
Vegetationsk<strong>und</strong>lers), nicht unbedingt für den jeweiligen Nutzer. Der aktuelle Nutzer <strong>und</strong> Interpret ist ja<br />
nur selten <strong>und</strong> unter besonderen Bedingungen an den historischen Nutzungen <strong>und</strong> Interpretationen »seines«<br />
Gegenstan<strong>des</strong> interessiert.<br />
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