Spuren und Spurenleser. Zur Theorie und Ästhetik des - repOSitorium
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ungen zu studieren. (Technik der begrenzten Regelverletzung bzw. <strong>des</strong> Austestens der<br />
Grenzen sozialer Konventionen – bis hin zu »Krisenexperimenten«). Davon kann man<br />
auch bei der vegetationsk<strong>und</strong>lichen Geländearbeit Gebrauch machen; es ergibt sich<br />
vielfach von selber. Schon das Beobachten <strong>und</strong> Notieren von Unkraut erweist sich als<br />
Feldexperiment; man wird dann je nach Umgebung <strong>und</strong> Situation sehr unterschiedlich<br />
<strong>und</strong> von sehr unterschiedlichen Leuten auf unterschiedliche Themen angesprochen. Dabei<br />
erfährt man z.B. sehr viel über ihre jeweilige Interpretation <strong>des</strong> Unkrauts <strong>und</strong> über<br />
die Interpretation der gesamten Freiraum- <strong>und</strong> Quartierssituation 19 .<br />
Ein weiteres Handicap der nicht-reaktiven Verfahren: Zwar ist die externe Validität<br />
groß, aber trotzdem sind die Ergebnisse oft schwierig zu verallgemeinern. Der Gr<strong>und</strong><br />
ist, daß die relevante Stichprobe <strong>und</strong> damit die Gr<strong>und</strong>gesamtheit <strong>und</strong> Repräsentativität<br />
der <strong>Spuren</strong>verursacher (<strong>und</strong> der an Feldexperimenten beteiligten Personen) oft schwer<br />
zu bestimmen ist. Noch mehr gilt das für selektiv überleben<strong>des</strong> historisches Material 20 .<br />
Auch hier können die Feldinterviews den Fehler mildern. Allerdings macht man sich<br />
über die Repräsentativität bei quantitativer Sozialforschung oft sehr übertriebene Vorstellungen.<br />
21<br />
Schließlich kommt man mit den nicht-reaktiven Verfahren oft hart an die Grenze, wo<br />
das Vorgehen (forschungs)ethisch problematisch wird. Erstens schnüffelt man detektivisch<br />
in einem Ausschnitt <strong>des</strong> Alltagsverhaltens herum, bei dem die Leute sich im allgemeinen<br />
mehr oder weniger unkontrolliert fühlen. Das gilt z.B. auch für den Umgang<br />
der Leute mit Unkraut, Freiräumen <strong>und</strong> öffentlichem Grün. (Im Prinzip ist es ähnlich<br />
wie beim Hineinschauen in die Mülleimer, der berühmten »Hausmeistermethode«, die<br />
ja auch als ein fruchtbares nicht-reaktives Verfahren gilt, um z.B. Konsumgewohnheiten<br />
– etwa den Alkoholkonsum – unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen <strong>und</strong> Haushaltstypen<br />
zu erfassen.) Zweitens benutzt man die Leute z.B. bei Feldexperimenten ungefragt<br />
zu Forschungszwecken. Dieser zweite Punkt ist, wenn es um Vegetation geht,<br />
19 Es gibt aber noch viele Möglichkeiten: Man kann z.B. auf diese Weise den Öffentlichkeitsgrad oder Privatheitsgrad<br />
von Freiräumen testen: In welchen Freiräumen wird man wie von wem beobachtet, angesprochen<br />
<strong>und</strong> auf sein regelwidriges Verhalten hingewiesen? Man kann sich auch selber zum Meß- oder Forschungsinstrument<br />
machen – ein typischer Gedanke qualitativer Sozialforschung: Wo geht man z.B. selber<br />
ohne Zögern hinein, wo zögert man wie stark? So kann man auch immer wieder die Umweltreaktionen auf<br />
das Betreten öffentlicher Grünflächen zu provozieren versuchen, die sich in unterschiedlichen Quartieren<br />
als sehr unterschiedlich erweisen.<br />
20 Auf einem Schulgelände konnte man 1992 z.B. folgende Beobachtung machen: In jüngster Zeit entstanden<br />
zahlreiche Graffiti, die zum Ausländerthema Stellung nahmen. Daraufhin wurden die ausländerfeindlichen<br />
Graffiti säuberlich getilgt, die ausländerfre<strong>und</strong>lichen <strong>und</strong> antifaschistischen Graffiti aber stehengelassen,<br />
sozusagen als Ausweis der einwandfreien Gesinnung dieser Schule. <strong>Zur</strong> unterschiedlichen Überlebensdauer<br />
unterschiedlicher Graffiti-Sorten vgl. auch Hard, Ger<strong>des</strong>, Ebenhan 1984.<br />
21 Die Stichprobenverzerrung ist auch bei quantitativen Verfahren meist unkontrollierbar. Rücklaufquoten<br />
bzw. Erreichbarkeiten von 40-60% gelten als sehr befriedigend, aber die Nichterfaßten gehören mit hoher<br />
Wahrscheinlichkeit zu einer ganz anderen Population.<br />
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