Spuren und Spurenleser. Zur Theorie und Ästhetik des - repOSitorium
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Empirie <strong>und</strong>/oder eine nachträgliche Kontrolle ermöglichen. Aber auch das gilt nur im<br />
günstigsten Fall. Die wissenschaftstheoretische, wissenschaftsgeschichtliche <strong>und</strong> wissenschaftssoziologische<br />
Kritik an der Wissenschaftstheorie hat in den letzten Jahrzehnten<br />
immer wieder gezeigt, daß normale Wissenschaftstheorie oft mehr eine metatheory<br />
of science fiction als eine metatheory of science gewesen ist. (Das begann mit Kuhn,<br />
wurde dann durch Feyerabend populär – Wissenschaftstheorie als eine »bisher unbekannte<br />
Form <strong>des</strong> Irrsinns« – <strong>und</strong> schließlich ergänzt durch »ethnologische« Beobachtungen<br />
realer Forschungsprozesse, wie sie z.B. von Knorr-Cetina durchgeführt wurden.)<br />
Seither ist es bekannt, daß in der Wissenschaftstheorie oft eine überidealisierte<br />
Wissenschaft beschrieben wurde, die es nicht gibt <strong>und</strong> die im Existenzfall oft auch gar<br />
nicht funktionstüchtig wäre. Dieses Resultat gilt auch dann, wenn die genannte Kritik<br />
an der »normalen Wissenschaftstheorie« an manchen Stellen überzogen gewesen sein<br />
sollte.<br />
Aber auch wo Wissenschaftstheorie etwas Reales beschrieb oder »rekonstruierte«,<br />
war sie doch eher als Rekonstruktion <strong>des</strong> context of justification gedacht (<strong>und</strong> z.B. gewiß<br />
nicht als Inspirationsquelle im context of discovery). Sie war also bestenfalls als<br />
grobe Systematisierung <strong>und</strong> Kontrolle im nachhinein verwendbar, aber sie war weder<br />
heuristisches Instrument für den context of discovery, noch konnte sie im Vollzug von<br />
Wissenschaft eine leitende, anregende <strong>und</strong> aufspürende Funktion ausüben. 59 Ich hoffe,<br />
ich habe gezeigt, daß die (Meta)<strong>Theorie</strong> <strong>und</strong> Methodologie der Spur in einer besseren<br />
Rolle ist, also die Empirie kritisch <strong>und</strong> heuristisch begleiten kann, auch wenn das in der<br />
Darstellung nicht immer explizit zu werden braucht.<br />
2.9 Einige weitere Klärungen <strong>und</strong> Ergänzungen zur <strong>Theorie</strong> der Spur <strong>und</strong> <strong>des</strong><br />
<strong>Spuren</strong>lesens<br />
2.9.1 »Artefakte«<br />
Für den <strong>Spuren</strong>leser ist, wie man sieht, auch die Vegetation eine historische, nicht nur<br />
eine naturhistorische Spur, d.h. ein Artefakt. 60 Es gibt lebende Artefakte: Ein historischer<br />
Garten <strong>und</strong> jede Grünanlage sind solche lebenden Artefakte, darüber hinaus alle<br />
Vegetationsformationen einer Kulturlandschaft. 61<br />
Wie man sieht, ist im Zusammenhang unseres Themas, aber auch in der Geographie,<br />
ein weiter, aber nicht zu weiter Begriff von »Artefakt« nützlich: »Artefakte« (von »arte<br />
factum«, »durch menschliche Kunst, d.h. menschliches Können hergestellt«) sollen alle<br />
59 Man könnte auch sagen, es handelte sich eher um »frigide« als um »sensitive Methodologien« (Knorr-<br />
Cetina 1984); »frigide« Methodologien sind solche, die nicht fähig sind, auf die oft entscheidenden Feinbewegungen<br />
der Wirklichkeit <strong>und</strong> <strong>des</strong> Forschungsganges zu reagieren.<br />
60 Das schließt eine naturwissenschaftliche Beschreibung natürlich nicht aus. Sogar ein Archäologe, der einen<br />
Grabhügel gr<strong>und</strong>sätzlich als Artefakt betrachtet, kommt zuweilen nicht um eine rein naturwissenschaftliche<br />
Untersuchung herum, z.B. wenn es um Abtragungsprozesse <strong>und</strong> Bodenbildungen geht. Dann<br />
wird ein Grabhügel in Hinsicht der Methode wie ein natürlicher Hügel behandelt. Die Anwendung auf die<br />
Vegetation ist klar.<br />
61 Diese Sorte von Artefakten lag dem Historiker d'Haenens offenbar fern, aber auch dem Geographen Werlen<br />
bei seiner Erörterung <strong>des</strong> für ihn wichtigen Begriffs »Artefakt«, vgl. Werlen 1987.<br />
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