Spuren und Spurenleser. Zur Theorie und Ästhetik des - repOSitorium
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turwissenschaften, München 1987, S. 125.) »Hermetische Philosophie« ist, sehr kurz<br />
gesagt, eine schon antike Tradition geheimer Naturlehre <strong>und</strong> Naturmagie, die in der Renaissance<br />
bis ins späte 18. Jahrh<strong>und</strong>ert eine neue Blüte erlebte (vgl. Faivre <strong>und</strong> Zimmermann<br />
1979); zuweilen ist mit »hermetischer Kunst« oder »hermetischer Philosophie«<br />
in der Neuzeit aber auch nur die Alchemie gemeint.<br />
Die Natur, die in diesem Bild als Personifikation in Erscheinung tritt, gibt mit ihren<br />
<strong>Spuren</strong> den »richtigen Pfad« vor. Die Spur der Natur ist in diesem Sinne nicht einfach<br />
nur ein Faktum, sondern auch Norm oder »Leitbild«.<br />
Gemessen an den modernen Naturwissenschaften haben wir es innerhalb dieser Allegorie<br />
mit einem »vormodernen« Wissenschaftler zu tun. Jemand, der in dieser Weise<br />
der Natur folgt, ist nach heutigen Begriffen z.B. eher ein Alchemist als ein Chemiker,<br />
ist wenigstens mehr ein Amateur der Naturgeschichte als ein moderner Naturwissenschaftler.<br />
Allerdings offenbart sich auch diesem Naturforscher alten Stils nicht alles auf<br />
den ersten Blick, es liegt nicht alles zutage. Dieser Naturforscher läßt sich nicht nur erleuchten,<br />
sondern beleuchtet auch die <strong>Spuren</strong>, die er verfolgt. Die Erkenntnistheorie, die<br />
implizit darinsteckt, ist weniger eine Illuminationstheorie als jene »Scheinwerfertheorie«<br />
der Erkenntnis, auf die noch die moderne Wissenschaftstheorie (bis hin zum »kritischen<br />
Rationalismus«) zurückgreift <strong>und</strong> in der das Beobachten <strong>und</strong> Erkennen als aktiv,<br />
selektiv <strong>und</strong> konstruktiv – <strong>und</strong> nicht nur als ein rezeptives Erleben oder, noch altertümlicher,<br />
als eine Erleuchtung (eine Illumination, ein Illuminiertwerden) erscheinen.<br />
In diesem Bild <strong>des</strong> alten Naturforschers stecken aber implizit auch zahlreiche vormoderne<br />
Züge: Er folgt den »<strong>Spuren</strong>« sozusagen zum Wahren <strong>und</strong> zum Guten, vielleicht<br />
sogar auch noch zum Schönen hin. 13<br />
Diese Gut-Wahr- oder Gut-Wahr-Schön-Kongruenzen sind in der Moderne vor allem<br />
Kennzeichen archaisierender Weltanschauungen <strong>und</strong> Philosophien, aber auch<br />
13 In der Natur <strong>des</strong> hermetischen Philosophen kongruieren offenbar Wahrheit, Gutheit <strong>und</strong> Schönheit. Man<br />
beachte auch, daß die abgebildete Personifizierung der Natur aus dem begehrten Erkenntnisziel nicht nur<br />
eine Schönheit, sondern auch eine Einheit macht. Nicht nur »ens et bonum convertuntur« (um die alte<br />
Formel zu zitieren), sogar »unum, verum, bonum et pulchrum convertuntur«. Das ist die Konvertierbarkeit<br />
von Sein, Wahrheit, Einheit, Gutheit <strong>und</strong> Schönheit, von der die alteuropäische Ontologie <strong>und</strong> Metaphysik<br />
geprägt war, <strong>und</strong> die Moderne besteht gerade in der Auflösung dieses Verb<strong>und</strong>es <strong>und</strong> in der Autonomisierung<br />
dieser »Transzendentalien«. Man kann auch sagen, sie werden positiviert, d.h. als von kontingenten<br />
(»auch-anders-möglichen«) Entscheidungen abhängig gedacht.<br />
Von Vertretern <strong>und</strong> Modernisierern der »philosophia perennis« wird diese Kongruenztheorie heute z.B. so<br />
beschrieben <strong>und</strong> vertreten: Diese »Bestimmungen« – Einheit, Wahrheit, Gutheit, Schönheit – »stellen die<br />
innere Selbstauslegung (...) <strong>des</strong> Seins dar, das in ihnen sein Wesen entfaltet <strong>und</strong> offenbart.« So legt die<br />
Frauenfigur das Wesen der Natur dar. »In dem Maße <strong>und</strong> in der Weise, wie einem Seienden Sein zukommt,<br />
besitzt es diese vier Eigenschaften (...). Kraft seiner Einheit ist das Seiende in sich geschlossen<br />
<strong>und</strong> von jedem anderen abgesetzt (...), mit der Seinshöhe (steigt) auch die Einheit (...). Wahrheit <strong>und</strong> Gutheit<br />
besagen, daß das Seiende kraft seines Seins auf das Erkennen <strong>und</strong> Wollen <strong>des</strong> Geistes abgestimmt (...)<br />
ist« – je mehr Seinsfülle es hat, umso mehr. »Die Schönheit endlich (...) erwächst aus ihnen« – d.h. aus der<br />
Einheit, Wahrheit <strong>und</strong> Gutheit <strong>des</strong> Gegenstan<strong>des</strong> – »als ihre Vollendung« <strong>und</strong> ihr »Zusammenhang«<br />
(Brugger 1988, S. 412f.). Gott ist »in seiner unendlichen Seinsfülle« »die Einheit, die Wahrheit, die Gutheit,<br />
die Schönheit selbst«, <strong>und</strong> seine Schöpfung, die Natur, hat bis zu einem hohen Grade daran teil.<br />
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