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Spuren und Spurenleser. Zur Theorie und Ästhetik des - repOSitorium

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Kennzeichen vieler Natur- <strong>und</strong> anderer Ideologien. Diese Kongruenzen spuken unter<br />

anderem in den Philosophien moderner Ökologiephilosophien weiter, wo »die« Natur –<br />

<strong>und</strong> die entsprechende ökologiebewegte Naturbeschreibung – zugleich als seiend, einheitlich,<br />

wahr, gut <strong>und</strong> schön, ja tendentiell sogar als das Sein, die Einheit, die Wahrheit,<br />

die Norm (der Wert) <strong>und</strong> die Schönheit erscheinen. Je weniger diese Merkmalsdimensionen<br />

getrennt werden, umso vormoderner, den modernen, funktional differenzierten<br />

Gesellschaften unangepaßter ist eine solche Weltauslegung. Das ist keine Wertung,<br />

sondern ein Faktum. Diese vormodernen Philosopheme mögen etwas Schönes beschreiben;<br />

ob sie unter modernen Bedingungen etwas Erstrebenswertes beschreiben, ist<br />

damit noch nicht ausgemacht, <strong>und</strong> selbst wenn es erstrebenswert wäre, dann wäre es<br />

nicht wirklich <strong>und</strong> keine Wahrheit über die moderne Welt.<br />

Es gibt aber noch andere vormoderne Züge bei diesem Naturforscher. Die Welt, in<br />

der sich der hermetische Philosoph bewegt, ist eine Welt der natürlichen Einstellung –<br />

bestehend aus Gegenständen der Alltagserfahrung. Das ist noch nicht die Welt der modernen<br />

Naturwissenschaften, die sich ja nicht mehr auf schlichte Erfahrung bezieht,<br />

sondern dieser schlichten Erfahrung widerspricht. Auch die Forschungsinstrumente dieses<br />

Naturforschers entsprechen nicht der apparativ-experimentellen Ausstattung der<br />

modernen Naturwissenschaften, welche versuchen, die Natur mit ihren nicht-mehralltäglichen<br />

Mitteln zum Sprechen zu bringen. Sein Instrumentarium ist vergleichsweise<br />

einfach-alltäglich.<br />

Andererseits verhält er sich aber (wie ich schon vermerkt habe) nicht nur einfach<br />

passiv-schauend, sondern er verfolgt aktiv eine Spur, <strong>und</strong> seine Instrumente sind Sondierungsinstrumente.<br />

In der vorliegenden Allegorie handelt es sich also nicht bloß um<br />

einen rezeptiv schauenden Wissenschaftler, der die »Natur« sprechen läßt; er geht vielmehr<br />

voran, indem er die schweigende Natur »zum Sprechen bringt«: Und zwar bringt<br />

er sie zum Sprechen, indem er ihre <strong>Spuren</strong> interpretiert.<br />

Das ist die Pointe, die dieses Erkenntnismodell strukturell dem »<strong>Spuren</strong>paradigma«<br />

annähert. »Beobachtung« <strong>und</strong> »<strong>Theorie</strong>« werden auch hier gemacht <strong>und</strong> nicht mehr nur<br />

empfangen. Aus der »vernehmenden Vernunft« ist eine bis zu einem gewissen Grade<br />

schon konstruktive, zumin<strong>des</strong>t eine rekonstruktive (aus <strong>Spuren</strong> rekonstruierende)<br />

Vernunft geworden. In diesem Sinne steht also unser »vormoderner Wissenschaftler«<br />

schon dem moderneren <strong>und</strong> »neueren« Inquisitionsmodell (d.h. dem normalen<br />

Selbstverständnis der modernen Naturwissenschaften) näher als dem alten Illuminationsmodell,<br />

nach dem die »Wahrheiten einleuchten«.<br />

Aber weshalb ist er dennoch kein moderner Naturwissenschaftler? Nicht nur <strong>des</strong>wegen<br />

nicht, weil er noch im Rahmen einfacher Erfahrung unter »natürlichen« Dingen<br />

lebt, weil er nicht experimentell vorgeht <strong>und</strong> weil für ihn das Wahre, das Gute <strong>und</strong> das<br />

Schöne noch ziemlich ungeschieden sind. Er ist vor allem auch <strong>des</strong>halb kein moderner<br />

Naturwissenschaftler, weil er sich nicht oder nicht nur auf die Natur oder auf ihr materielles<br />

Inventar als solches bezieht. Dieser hermetische Philosoph schaut in eine Welt,<br />

in der physisch-materielle Gegenstände auch Signifikanten, d.h. Bedeutungsträger sind.<br />

Es gilt sozusagen, die Welt zu dechiffrieren. Die <strong>Spuren</strong> der Natur sind keine bloßen<br />

Fakten der Naturwissenschaften, sondern verweisen auf etwas, was sie selber <strong>und</strong> an<br />

sich nicht sind. Das heißt, sie sind (auch <strong>und</strong> vor allem) Zeichen. <strong>Spuren</strong> sind bekannt-<br />

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