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Spuren und Spurenleser. Zur Theorie und Ästhetik des - repOSitorium

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nen soziale Zustände <strong>und</strong> Ereignisse sich auf sehr unterschiedliche Weise in der Vegetation<br />

niederschlagen (so, wie ein Gruß <strong>und</strong> ein Wutausbruch mit sehr unterschiedlichen<br />

Körperbewegungen kombiniert sein können, nicht nur mit einem Heben <strong>des</strong> rechten<br />

Arms).<br />

Zwischen gesellschaftlichen <strong>und</strong> materiellen Phänomenen gibt es höchstens, wie<br />

Searle (1986) formuliert, lockere disjunkte Beziehungen: Ein bestimmtes soziales<br />

Phänomen kann sich prinzipiell auf unendlich verschiedene Weise in der Vegetation<br />

»materialisieren«, <strong>und</strong> bestimmte Ereignisse in der Vegetation sind prinzipiell mit einer<br />

unabschließbaren Menge von sozialen Ereignissen vereinbar. Einer Veränderung <strong>des</strong><br />

Ausländeranteils (x) kann auf der Seite der Vegetation ein Ereignis y 1 oder y 2 oder y 3<br />

oder ... (oder auch gar nichts) entsprechen; einer Veränderung <strong>des</strong> Areals von Hordeum<br />

murinum (y) in einer Stadt entspricht auf der sozialen Ebene x 1 oder x 2 oder ... (oder<br />

auch gar nichts): Vielleicht hat sich ja wirklich nur das Stadtklima oder der Genpool der<br />

Mäusegerste verändert. Und das ist u.a. <strong>des</strong>halb so, weil die ökologischen<br />

Existenzbedingungen von Hordeum murinum in sehr unterschiedlichen sozialen Milieus<br />

erfüllt sein können <strong>und</strong> weil – umgekehrt – wohl kein soziales Milieu namhaft<br />

gemacht werden kann, das für seine eigene Existenz die Herstellung der Existenzbedingungen<br />

eines bestimmten Grases voraussetzt.<br />

Wenn es auch keine systematischen Zusammenhänge gibt, so gibt es doch punktuell<br />

<strong>und</strong> vorübergehend Zusammenhänge oder Verknüpfungen, <strong>und</strong> das ermöglicht es unter<br />

Umständen, vom einen aufs andere zu schließen (z.B. von der Vegetation auf Soziales<br />

<strong>und</strong> von Sozialem auf die Vegetation). Mit anderen Worten, eins kann als Indiz oder<br />

Spur <strong>des</strong> anderen gelesen werden. Die hardware (die physisch-materielle Welt) <strong>und</strong> die<br />

software (die soziale Welt) werden sozusagen ad hoc idiographisch <strong>und</strong> interpretativ<br />

verknüpft.<br />

Man kann sich dabei durchaus an einem common-sense-Modell »geistiger Verursachung«<br />

orientieren (<strong>und</strong> muß es wohl auch tun), d.h. – dem common sense gemäß – annehmen,<br />

daß »geistige« bzw. soziale Phänomene bestimmte Zustände <strong>und</strong> Veränderungen<br />

in der physisch-materiellen Welt <strong>und</strong> so auch in der Vegetation »verursachen«<br />

können.<br />

Diese Redeweise muß man freilich richtig interpretieren. Das ist eine andere Art von<br />

Verursachung <strong>und</strong> Erklärung als eine Verursachung <strong>und</strong> Erklärung auf der ökophysiologischen<br />

(naturwissenschaftlich-geobotanischen) Ebene für sich allein. Solche »sozialen«<br />

Verursachungen sind z.B. nicht oder doch nicht im gleichen Sinne Fälle von Gesetzmäßigkeiten.<br />

Sie funktionieren sozusagen ebenen- <strong>und</strong> sprachebenenübergreifend,<br />

<strong>und</strong> zwar, wenn diese Redeweise erlaubt ist, »von oben nach unten«, wobei mit »oben«<br />

Soziales oder Mentales gemeint ist, mit »unten« etwas Physisch-Materielles, z.B. die<br />

Vegetation: Bestimmte Intentionen oder soziale Konventionen verursachen unter bestimmten<br />

Bedingungen bestimmte Vegetationszustände.<br />

Man kann ja auch sinnvoll sagen, daß ein PKW – zweifellos ein physisch-materieller<br />

Gegenstand – sich in Bewegung setzt, weil jemand die Absicht hatte, eben dies zu tun,<br />

weil er jemanden besuchen wollte oder weil er seinen Dienst pünktlich anzutreten beabsichtigte<br />

oder ... oder ... Diese »Absichten«, die dazu führen, daß sich der PKW in Bewegung<br />

setzt, sind jedenfalls, im Gegensatz zum PKW, nichts Physisch-Materielles; sie<br />

sind zumin<strong>des</strong>t nicht in dem gleichen Sinn materiell, wie der PKW etwas Materielles<br />

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