Spuren und Spurenleser. Zur Theorie und Ästhetik des - repOSitorium
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tritt aus dem Gesichtswinkel <strong>des</strong> Historikers etwas in den Vordergr<strong>und</strong>, was sonst meist<br />
unterbelichtet bleibt: Daß <strong>Spuren</strong> nicht nur Ergebnisse von Geschichten sind, sondern<br />
auch selber eine sie verändernde Geschichte <strong>und</strong> Überlieferung (Überlebensgeschichte<br />
<strong>und</strong> Entwicklungsgeschichte) haben. Drittens wird aus dem Blickwinkel <strong>des</strong> Historikers<br />
auch die hermeneutische Seite <strong>des</strong> <strong>Spuren</strong>lesens <strong>und</strong> der Konstruktcharakter der Spur<br />
noch deutlicher.<br />
Im folgenden hebe ich einige Punkte hervor, durch welche die bisherige Analyse der<br />
Begriffe »Spur« <strong>und</strong> »<strong>Spuren</strong>lesen/<strong>Spuren</strong>sicherung« ergänzt wird. Zugleich bin ich<br />
auch bemüht, einen gewissen Überblick über diese »<strong>Theorie</strong> der Spur« zu geben. 37<br />
Die Geschichtswissenschaft bedeutet: »imaginer le temps révolu par la médiation de<br />
la trace« (Imagination der verflossenen Zeit durch Vermittlung der <strong>Spuren</strong>, 280). Kurz:<br />
»Pas de traces, pas d’histoire« (ohne <strong>Spuren</strong> keine Geschichte, 119). Nur durch die<br />
<strong>Spuren</strong> sei die Vergangenheit zugänglich; sie seien »le passé présent« (die Spur ist die<br />
Gegenwart der Vergangenheit). Die Geschichte sei in mehrfachem Sinn immer eine Geschichte<br />
der <strong>Spuren</strong>38 .<br />
D’Haenens schlägt vor, den Begriff »Quelle« (source) durch »Spur« (trace) zu ersetzen<br />
<strong>und</strong> auch die überkommene Klassifikation der »Quellen« neu zu konstruieren:<br />
»On parlera désormais de traces plutôt que de sources, là où habituellement on<br />
parle de ,sources‘. Parceque le concept ,source‘ renvoie au seul originaire: au<br />
commencement étaient le Bien et le Beau, que dégrada la durée. Dans ,source‘, il<br />
y a l’image du jaillissement originaire et de l’écoulement fluvial. D’une part, la<br />
pureté <strong>des</strong> origines; d’autre part, la médiation deviatrice, pervertisseuse du sens<br />
original. ,Source‘ exclut ce qui renvoie à la tradition, à la transmission de<br />
l’originaire; ce qui renvoie à l’histoire du transfert de l’original par les générations<br />
qui nous relient à l’originaire. Il exprime la fascination pour un passé détemporalisé<br />
... Ne parlons plus de ,sources‘ mais de traces.« (S. 115).<br />
»Quelle« ist also im Gegensatz zu »Spur« eine irreführende Metapher mit irreführenden<br />
Konnotationen; sie läßt an einen reinen, wieder herzustellenden Anfang oder Ursprung<br />
denken (der dann regelmäßig verunreinigt, ja pervertiert wird). »Spur« enthält dagegen<br />
keine solche Abwertung der Geschichte <strong>und</strong> Überlieferung gegenüber dem Original,<br />
dem originären Zustand oder dem »Ursprung«. Die Übermittlung selber, der Gestalt<strong>und</strong><br />
Bedeutungswandel der Spur (von ihrer Konzeption <strong>und</strong> Produktion über die<br />
unterschiedlichen »Generationen« <strong>und</strong> Arten historischer <strong>Spuren</strong>leser <strong>und</strong> <strong>Spuren</strong>nutzer<br />
bis hin zu den gegenwärtigen <strong>Spuren</strong>nutzern <strong>und</strong> <strong>Spuren</strong>lesern) wird ausdrücklich als<br />
ein eigenes Thema angesprochen. Die Spur wird nun als Produkt der Geschichte<br />
37 Die théorie de la trace von d'Haenens wird von mir an einigen Stellen etwas verändert, um sie dem Zweck<br />
eines <strong>Spuren</strong>lesens anzupassen, das nicht nur historische Ziele hat. Vor allem verteile ich die Gewichte<br />
etwas anders, als sie im Original verteilt sind. Das erläutere ich aus Platzgründen nicht im einzelnen; man<br />
vgl. d'Haenens 1984.<br />
38 <strong>Spuren</strong> gibt es natürlich nicht nur in der physischen Welt, sondern auch z.B. in der sozialen Welt, z.B. in<br />
der Sprache <strong>und</strong> in den Institutionen (was in der Methodologie der Geschichtswissenschaften ja z.B. mit<br />
dem Terminus »abstrakte Überreste« abgedeckt wird.) Die théorie de la trace gilt in Poppers Welt 1, 2 <strong>und</strong><br />
3 gleichermaßen: In unserem Zusammenhang (<strong>Spuren</strong>lesen in der Vegetation usw.) sind allerdings vor allem<br />
physisch-materielle <strong>Spuren</strong> gemeint.<br />
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