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Spuren und Spurenleser. Zur Theorie und Ästhetik des - repOSitorium

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Die Kritik an diesem Paradigma ist so alt wie das Paradigma selber; aber erst in den<br />

letzten Jahrzehnten ist sie fester Bestandteil <strong>des</strong> geographischen Diskurses geworden.<br />

Diese Kritik besteht (sinngemäß) darin, daß die Geographie im Banne dieses Paradigmas<br />

sich der sozialen Welt nur oder doch vor allem über die physisch-materielle Welt,<br />

eben die Welt der landschaftlichen <strong>Spuren</strong> nähere, soziale Phänomene also gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

nur von Raum <strong>und</strong> Landschaft her thematisiere – was für eine Sozial- oder Humanwissenschaft<br />

ein viel zu schmaler Zugang <strong>und</strong> gerade modernen Verhältnissen ganz<br />

unangemessen sei; es könne sich höchstens um eine Sonder- <strong>und</strong> Nebenmethode handeln.<br />

Die dinglichen Ausstattungen <strong>und</strong> die spatial patterns von Landschaften <strong>und</strong><br />

Räumen seien überaus lückenhafte <strong>und</strong> verzerrungsreiche Projektionsflächen der sozialen<br />

Welt, in denen vieles zeitlich verzögert, <strong>und</strong>eutlich, polyvalent <strong>und</strong> sogar ganz irreführend<br />

(oder auch gar nicht) abgebildet sei.<br />

Zweitens neige man bei so restringiertem Zugriff auf die soziale Welt dazu, die soziale<br />

Bedeutsamkeit <strong>und</strong> sogar den lebensweltlichen Stellenwert dieser physischmateriellen<br />

Bestände maßlos zu überschätzen. (Solche Überschätzungen können – in<br />

merkwürdiger Parallele zur klassischen Geographie – auch bei aufs <strong>Spuren</strong>paradigma<br />

eingeschworenen Freiraumplanern vorkommen.)<br />

Ferner könne man nicht übersehen, daß nicht nur der beschriebene methodische Zugang,<br />

sondern auch schon das Mensch-Natur-Thema in modernen Gesellschaften (<strong>und</strong><br />

überhaupt in der modernen Welt) keinen besonderen Aufschlußwert mehr besitze – im<br />

Gegensatz zu vormodernen Gesellschaften. Schließlich aber gebe es überhaupt keine<br />

systematischen, regelhaften Zusammenhänge zwischen den physisch-materiellen Gegenständen<br />

(etwa den materiellen <strong>Spuren</strong>) einerseits <strong>und</strong> ihren sozialen Bedeutungen<br />

andererseits; in geographischer Diktion: die »landschaftlichen Indikatoren« <strong>und</strong> das,<br />

was sie an Sozialem »anzeigen«, sind nicht systematisch korreliert. Genau das gleiche<br />

gelte von den erdräumlichen Distanzen: Auch sie seien sehr vieldeutige Indikatoren für<br />

Soziales, <strong>und</strong> manchmal indizieren sie auch gar nichts Soziales. Eine Geographie dieser<br />

Art müsse also hoffnungslos idiographisch, ans je Besondere gefesselt bleiben. 16<br />

Man kann aus dieser langen geographischen Diskussionsgeschichte wie aus der<br />

schließlichen Selbstauflösung dieses klassisch-geographischen Paradigmas immerhin<br />

lernen, daß ein <strong>Spuren</strong>paradigma für sich allein immer unzulänglich ist, gleich, in welchem<br />

Zusammenhang es auftritt.<br />

Im Rahmen der klassischen Geographie war auch die Physische Geographie (von der<br />

Geomorphologie über die Klima- bis zur Vegetationsgeographie) nach ihrem disziplinären<br />

Sinn <strong>und</strong> nach ihrer Methodologie ex- <strong>und</strong> implizit nicht eigentlich eine Naturwissenschaft<br />

im heute üblichen Sinn – was Ähnlichkeiten <strong>und</strong> Anlehnungen im Detail nicht<br />

ausschließt. Die Physische Geographie, oder besser: die nach ihren Gegenständen <strong>und</strong><br />

nach ihren geowissenschaftlichen Paralleldisziplinen (Geologie, Meteorologie, Geobotanik<br />

...) höchst heterogenen Physischen Geographien, arbeiteten ebenfalls dem<br />

Mensch-Natur-Thema zu, <strong>und</strong> eben dadurch wurde die »Einheit der Geographie« ge-<br />

16 Dieser Einwand gilt strikt allerdings nur, wenn die physisch-materiellen Gegenstände naturwissenschaftlich,<br />

nicht, wenn sie emisch beschrieben werden: Dann kann man unter Umständen durchaus historischkulturell<br />

begrenzte Regelhaftigkeiten (»Quasi-Gesetze«) finden. Eben <strong>des</strong>halb war die Gegenstandssprache<br />

der Geographie ja immer emischer Art.<br />

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