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Spuren und Spurenleser. Zur Theorie und Ästhetik des - repOSitorium

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Von <strong>Spuren</strong> <strong>und</strong> <strong>Spuren</strong>lesern, von <strong>Spuren</strong>lesen <strong>und</strong> <strong>Spuren</strong>sicherung ist seit längerem<br />

in vielen pädagogischen Bereichen die Rede; Isenberg spricht im Blick auf die Gebiete<br />

Jugendarbeit, Erwachsenenbildung <strong>und</strong> Tourismus schon 1985 (S. 9) von einer<br />

»Inflation« dieser Wörter, aber das gleiche gilt auch von vielen assoziierten Ideen.<br />

Wenn man etwas Gemeinsames hinter diesen Vokabeln sucht, dann findet man vor allem<br />

dies: Interessierte Laien machen Alltagsgegenstände <strong>und</strong> Alltagsumgebungen zu ihren<br />

Forschungsgegenständen – von Hausfassaden <strong>und</strong> allen Einzelheiten alter <strong>und</strong> neuer<br />

Bausubstanz über die auffälligsten <strong>und</strong> unscheinbarsten dinglichen Überreste der Siedlungs-,<br />

Sozial- <strong>und</strong> Industriegeschichte bis hin zu Gebrauchsgegenständen wie Mobiliar,<br />

Arbeitsgerät, Schuhwerk <strong>und</strong> Spielzeug. Man stößt dabei immer wieder auf die (dem<br />

Geographen so vertraute) Idee, die soziale <strong>und</strong> geschichtliche Welt könne <strong>und</strong> solle visuell,<br />

von ihren visuellen <strong>Spuren</strong> her <strong>und</strong> sozusagen physiognomisch erschlossen werden.<br />

Die Alltagswahrnehmungswelt, die Welt der Alltagsgegenstände, wird zu einer<br />

Ansammlung dekodierbarer Zeichen oder <strong>Spuren</strong> – <strong>Spuren</strong> von Sozialem, Biographischem,<br />

Historischem, von gegenwärtigen <strong>und</strong> vergangenen Lebensformen <strong>und</strong> Lebensbedingungen.<br />

(Vgl. hierzu Isenberg 1987.)<br />

Gerade der traditionelle Geograph hatte ja zuweilen ein hochsensibles Auge für die<br />

<strong>Spuren</strong> von Geschichte <strong>und</strong> Lebensformen in der Landschaft, ja, man kann, wie ich gezeigt<br />

habe, die These vertreten, daß die traditionelle Geographie (<strong>und</strong> teilweise sogar<br />

die traditionelle Physische Geographie) in ihrem <strong>Theorie</strong>- <strong>und</strong> Paradigmenkern eine Art<br />

von landschaftlichem <strong>Spuren</strong>lesen war.<br />

Die neuen, außergeographischen <strong>Spuren</strong>leser <strong>und</strong> <strong>Spuren</strong>sicherer gleichen den alten,<br />

geographischen <strong>Spuren</strong>lesern <strong>und</strong> <strong>Spuren</strong>sicherern aber auch in einigen markanten Unzulänglichkeiten:<br />

Auch bei diesen »neuen Geographen« außerhalb der Geographie findet<br />

man eine gewisse Stereotypie <strong>und</strong> einen Zug von altgeographischer Naivität. Mit<br />

»Stereotypie« oder »Stereotypisierung« ist eine gewisse Verengung <strong>und</strong> Konventionalisierung<br />

<strong>des</strong> Gegenstandsspektrums, eine gewisse Banalisierung auf der Ebene der Objekte<br />

<strong>und</strong> der Dechiffrierungen gemeint, <strong>und</strong> »Naivität« heißt hier, daß das Auge <strong>des</strong><br />

<strong>Spuren</strong>sicherers nichts oder zu wenig von sich selber weiß, daß es seine Selektivität <strong>und</strong><br />

Subjektivität, seinen »Bias«, seine »persönliche Gleichung« <strong>und</strong> seine blinden Flecken<br />

nicht bemerkt. Kurz, es sieht dann nur, was es sieht, aber es sieht nicht, was es nicht<br />

sieht, <strong>und</strong> eben dies verhärtet die konventionellen <strong>und</strong> stereotypen Züge dieses <strong>Spuren</strong>lesens<br />

noch zusätzlich.<br />

Was das heißt – sowohl für die Praxis <strong>des</strong> <strong>Spuren</strong>lesens im allgemeinen wie für die<br />

mögliche Wiederbelebung im Schul- <strong>und</strong> Hochschulunterricht – das liegt nach allem<br />

Gesagten auf der Hand: Man sollte eine gef<strong>und</strong>ene Spur nicht nur als eine Spur <strong>des</strong> Lebens<br />

<strong>und</strong> der Geschichte anderer lesen, sondern immer auch auf denjenigen beziehen,<br />

der sie liest <strong>und</strong> findet: »Eine Spur ist immer auch die Spur eines <strong>Spuren</strong>lesers«. Diese<br />

»Umweltwahrnehmung als Selbstwahrnehmung«, sozusagen die hermeneutische Seite<br />

<strong>des</strong> <strong>Spuren</strong>lesens, ist ausführlich genug erläutert worden; an dieser Stelle geht es vor<br />

allem um einen Nebeneffekt dieser »Selbstreferenz beim <strong>Spuren</strong>lesen«: Daß auf diese<br />

Weise die konventionellen Züge, die Stereotypisierungen, Routinisierungen <strong>und</strong> Banalisierungen,<br />

die sich immer <strong>und</strong> unvermeidlich einschleichen, sowohl sichtbar gemacht<br />

wie in sinnvollen Grenzen gehalten werden können.<br />

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