Spuren und Spurenleser. Zur Theorie und Ästhetik des - repOSitorium
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Dieser einfache Gedanke (der allerdings manchen Geographen noch immer sehr fern<br />
zu liegen scheint) wird im Folgenden durch ein Beispiel illustriert. Ich beschreibe eine<br />
<strong>Spuren</strong>suche, welche die hermeneutische Wendung einschließt – zwar in einer sehr einfachen<br />
Form, aber wohl ausreichend, um die Pointe deutlich zu machen.<br />
Eine Gruppe von Studenten sollte nach der Ankunft in einer nordwestdeutschen<br />
Kleinstadt (Cloppenburg), die ihnen noch fremd war, vom Rand der Innenstadt her zwei<br />
St<strong>und</strong>en lang ohne Stadtplan die Stadt erk<strong>und</strong>en. Von »<strong>Spuren</strong>sicherung« war noch<br />
nicht die Rede gewesen. Die »<strong>Spuren</strong>sucher« gingen einzeln <strong>und</strong> schrieben auf (oder<br />
fotografierten), was ihnen auffällig <strong>und</strong> interessant, »vielsagend« <strong>und</strong> »aufschlußreich«,<br />
d.h. als ein reizvoller Ausgangspunkt näherer Nachforschungen geeignet zu sein schien.<br />
Kurze Kommentare <strong>und</strong> Interpretationen waren erwünscht. Außerdem sollten die Erk<strong>und</strong>er<br />
ihre Wege (mittels Straßenamen, städtebaulichen Merkzeichen usf.) so notieren,<br />
daß der Erk<strong>und</strong>ungsgang im nachhinein rekonstruiert werden könnte. Die »Anweisung«<br />
war also denkbar schlicht.<br />
Die Karte (Abb. 13) zeigt die Wege <strong>und</strong> die Auffälligkeiten (»<strong>Spuren</strong>«). Auf den ersten<br />
Blick sind beide (Wege wie »<strong>Spuren</strong>«) erstaunlich weitläufig (<strong>und</strong> zwar nicht nur<br />
räumlich, sondern auch inhaltlich); sie gehen weit über das hinaus, was sich ein unbefangener<br />
Cloppenburg-Besucher bei einem kurzen Besuch ansehen würde (nämlich vor<br />
allem die heutige Fußgängerzone zwischen A, B <strong>und</strong> C), <strong>und</strong> sie liegen z.T. auch weitab<br />
von dem, was die Stadt in ihren Selbstdarstellungen selbst für sehenswürdig <strong>und</strong> interessant<br />
hält (vgl. die mit S, d.h. »Sehenswürdigkeit«, markierten Zeichen). Das hängt<br />
natürlich damit zusammen, daß die Studenten nicht einfach losgeschickt, sondern wenigstens<br />
implizit auf <strong>Spuren</strong>suche geschickt worden sind. Wären sie ohne Vorgabe gegangen<br />
(etwa einfach mit der Information »Exkursionspause«), dann hätten sie wohl<br />
weniger <strong>und</strong> viel üblichere Dinge gesehen <strong>und</strong> diese üblicheren Dinge wohl auch weniger<br />
genau. Selbst eine so vage Vorgabe kann den Wahrnehmungshorizont bedeutend<br />
erweitern <strong>und</strong> bis zu einem gewissen Grade ent-routinisieren.<br />
Genau diese sollte nach der Auswertung <strong>des</strong> Erk<strong>und</strong>ungsganges auch Thema werden:<br />
Wie verhält sich die eigene, »spurensuchende« Erk<strong>und</strong>ung zur Stadtwahrnehmung<br />
anderer – sei es der Mitstudenten, sei es der »normalen Besucher«, sei es zur offiziellen<br />
<strong>und</strong> gewöhnlich-alltäglichen Selbstwahrnehmung einer Stadt? Wenn z.B. Cloppenburger<br />
Bürger auf die Frage antworten, was sie in Cloppenburg sehenswert <strong>und</strong> interessant<br />
finden, dann ist das natürlich im wesentlichen eine Kopie <strong>des</strong>sen, was als »offizielle<br />
Selbstwahrnehmung« auch aus Prospekten <strong>und</strong> anderen (amtlichen <strong>und</strong> halbamtlichen)<br />
Publikationen hervorgeht. Die »alltägliche« Selbstwahrnehmung einer Stadt (im Gegensatz<br />
zur »offiziellen«) muß man wiederum anders erheben; man erkennt sie in ihren<br />
Tendenzen z.B. schon eher daran, wie Bewohner Cloppenburgs auf die Diareihen der<br />
studentischen Erk<strong>und</strong>er reagieren, was sie überrascht, was sie darin überhaupt wiedererkennen<br />
(usf.).<br />
Indem man solche sehr unterschiedlichen Ensembles von »<strong>Spuren</strong>« vergleicht, kann<br />
man weite Erdk<strong>und</strong>ungsräume erschließen; ich begrenze meine Geschichte auf das, was<br />
den geringsten Zeit- <strong>und</strong> Erhebungsaufwand benötigt <strong>und</strong> sich <strong>des</strong>halb zwanglos <strong>und</strong><br />
beiläufig mit jeder Exkursion <strong>und</strong> sogar mit jeder Unterrichtseinheit verknüpfen läßt:<br />
Auf das <strong>Spuren</strong>ensemble <strong>und</strong> <strong>Spuren</strong>muster der Schüler <strong>und</strong> Studenten selber.<br />
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