Spuren und Spurenleser. Zur Theorie und Ästhetik des - repOSitorium
Spuren und Spurenleser. Zur Theorie und Ästhetik des - repOSitorium
Spuren und Spurenleser. Zur Theorie und Ästhetik des - repOSitorium
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
en <strong>und</strong> Metaphysiken richtige <strong>Theorie</strong>n erzeugen. Auf die Dauer allerdings ist es vorzuziehen,<br />
wenn eine gute Praxis sich auch richtig reflektiert.<br />
Der hervorragende <strong>Spuren</strong>leser Lührs nennt das Derrida-Argument von der Spur als<br />
stummer Asche »mystisch«, <strong>und</strong> es könne beiseite bleiben (vgl. Lührs 1993, S. 27). Auf<br />
der Objektseite sei die richtige Interpretation, die wahre Bedeutung <strong>und</strong> wirkliche Ursache<br />
der Spur schon mit der Spur oder dem Indiz selber unverrückbar vorgegeben. »Je<strong>des</strong><br />
Indiz zielt auf eine konkrete Realität, auf eine Gegebenheit, die es tatsächlich gegeben<br />
haben muß, sonst könnte keine Spur davon übriggeblieben sein. Das Indiz selbst<br />
läßt also bezogen auf das, was es verursacht hat, kaum einen Interpretationsspielraum<br />
zu.«<br />
Ganz anders auf der Subjektseite: »Allein aber der Weg, vom Indiz auf seine Bedeutung,<br />
seine Ursache zu schließen, ist umso verzwickter, verwickelt <strong>und</strong> oft mit vielen<br />
Umwegen, Irrwegen <strong>und</strong> Fehldeutungen gepflastert. Hier gibt es einen immensen<br />
Interpretationsrahmen, bei dem es ganz wesentlich von der Erfahrung <strong>und</strong> dem jeweiligen<br />
Wissensstand <strong>des</strong> Interpreten abhängt, ob <strong>und</strong> in welcher Zeit es gelingt, von der<br />
Spur auf die tatsächliche Bedeutung zu schließen.« (Lührs 1994, S. 16f.) Nur im Denken,<br />
im Kopf <strong>des</strong> <strong>Spuren</strong>lesers also sind der Zusammenhang zwischen der Spur <strong>und</strong> ihrer<br />
wahren Bedeutung, der Schluß vom Indiz auf seine Ursache verzwickt, verwickelt,<br />
umwegreich <strong>und</strong> irrtumsgefährdet, <strong>und</strong> alles hängt von der Qualität <strong>des</strong> Interpreten ab;<br />
in der »konkreten Realität« jedoch sind diese wahren Bedeutungen <strong>und</strong> Ursachen schon<br />
mit der konkreten Realität selber fast ohne Interpretationsspielräume, d.h. perspektivefrei<br />
gegeben.<br />
Das ist letztlich wieder der animistische <strong>und</strong> in gewissem Sinne auch »mystische«<br />
Traum von einer schon an <strong>und</strong> für sich bedeutungsvollen Materie. Der <strong>Spuren</strong>leser lebt<br />
dann im Geiste wieder in der immer schon sinnerfüllten Welt <strong>des</strong> hermetischen Philosophen,<br />
der, um Welt <strong>und</strong> Natur zu verstehen, nur ihren <strong>Spuren</strong> folgen muß.<br />
Eine Spur ist aber von sich aus (um eine verräterische Metapher aufzugreifen)<br />
»stumme« Materie. Der <strong>Spuren</strong>leser kann sich nie auf die Spur selber, sondern nur auf<br />
sich selbst <strong>und</strong> seine Konstrukte stützen; d.h., auch er kann (wie jeder Wissenschaftler)<br />
nie direkt zur »konkreten Realität«, sondern nur von Zeichen zu Zeichen, d.h. in seiner<br />
Sprache <strong>und</strong> in seinen <strong>Theorie</strong>n weitergehen. Von sich selber her sind <strong>Spuren</strong> »signifiants<br />
insignifiants«, <strong>und</strong> sogar, daß sie überhaupt Signifikanten sind, verdanken sie nur<br />
dem <strong>Spuren</strong>leser.<br />
2.15 Konvention <strong>und</strong> Idiosynkrasie beim <strong>Spuren</strong>lesen<br />
2.15.1 <strong>Spuren</strong>lesen in einer kleinen Stadt<br />
<strong>Spuren</strong>lesen ist per definitionem ein unkonventionelles <strong>und</strong> unalltägliches Zeichenlesen.<br />
Aber natürlich ist <strong>Spuren</strong>lesen immer auch eine Mischung aus Konvention <strong>und</strong><br />
Abweichung, <strong>und</strong> entsprechend gibt es (zuweilen, je nach <strong>Spuren</strong>feld, in derselben Person)<br />
ziemlich stereotype <strong>und</strong> sehr idiosynkratische <strong>Spuren</strong>leser. Die beiden folgenden<br />
<strong>Spuren</strong>leser-Geschichten illustrieren diesen Spielraum. Außerdem scheint es mir nützlich,<br />
das Thema »<strong>Spuren</strong>leser <strong>und</strong> <strong>Spuren</strong>lesen« noch einmal auf die Ebene der Empirie<br />
<strong>und</strong> der Didaktik herabzuholen.<br />
162