Spuren und Spurenleser. Zur Theorie und Ästhetik des - repOSitorium
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Vielleicht kann man so resümieren: Was man zu studieren beginnt, hat man vorher<br />
geträumt, <strong>und</strong> was man mit Erfolg studiert, das träumt man gleichzeitig auch; noch<br />
heute träumt, sagt Bachelard, im Ingenieur zuzeiten der Alchemist.<br />
2.13.6 Einige Schlußfolgerungen<br />
Diese Überlegungen über die ästhetische Dimension beim Forschen <strong>und</strong> Lehren sind<br />
praktischer <strong>und</strong> praktikabler, als man auf Anhieb denken mag. Von solchen Überlegungen<br />
angeregt, hat Frauke Kruckemeyer mehrmals (z.B. 1991, 1994) einen geographischen<br />
Schul- <strong>und</strong> Hochschulunterricht geplant <strong>und</strong> durchgeführt, in dem auf eine<br />
durchaus zwanglose Weise nicht nur die objektivierende, sondern auch die mitlaufende<br />
subjektivierende Primär- <strong>und</strong> Parallelwahrnehmung der »gleichen« Gegenstände (z.B.<br />
Stadtquartiere <strong>und</strong> Vegetationstypen) wahrgenommen <strong>und</strong> ausgeschöpft wurde; erstens<br />
als widerlegliches heuristisches Reservoir, zweitens <strong>und</strong> vor allem aber auch als Medium<br />
der Reflexion der Studenten über ihr Tun <strong>und</strong> sich selbst. Wie anders als an sich<br />
selbst können sie erfahren, wie fragil <strong>und</strong> subjektiv unterwandert das ist, was sie gemeinhin<br />
für »reine <strong>und</strong> objektive Wissenschaft« halten? Und wie anders als so, nämlich<br />
als Beobachter der eigenen subjektivierend/objektivierenden Doppelbeobachtung, können<br />
sie erfahren, daß wirkliche Objektivität nicht ohne die Beobachtung <strong>des</strong> Subjekts<br />
der Objektivierung zu haben ist?<br />
Es scheint also durchaus möglich <strong>und</strong> fruchtbar zu sein, beim Lernen <strong>und</strong> Forschen<br />
auch die ästhetische Erfahrung der gleichen Gegenstände zu thematisieren. Die Versuche<br />
scheinen sogar die Vermutung zu bestätigen, daß die objektivierende <strong>und</strong> die ästhetische<br />
Erfahrung sich nicht nur nicht ausschließen: Sie können bei einem solchen Vorgehen<br />
beide differenzierter <strong>und</strong> jede für sich reicher werden, sich gewissermaßen wechselweise<br />
steigern. Es sind z.B. nicht selten die gleichen Schüler <strong>und</strong> Studenten, die in<br />
beiden Richtungen am meisten zuwege bringen, <strong>und</strong> die, die die Inhalte <strong>und</strong> Möglichkeiten<br />
der ästhetischen Wahrnehmung am weitesten verfolgten, machten oft auch die<br />
fruchtbarsten wissenschaftlichen Gegenstandserfahrungen.<br />
Die Unterrichtserfahrungen zeigen aber wohl auch, daß das alles im akademischen<br />
Unterricht nicht routinisiert werden kann; es gehört vermutlich ins Kapitel der »unstetigen<br />
Formen« <strong>des</strong> Lehrens <strong>und</strong> Lernens, lebt also von fruchtbaren Augenblicken <strong>und</strong> erreicht<br />
auch dann nicht alle Teilnehmer, weder intellektuell noch emotional. Was (bei<br />
Studenten mehr als bei Schülern) Lernwiderstände bildet, ist vor allem eine typische<br />
Verbindung von Unsicherheit beim wissenschaftlichen Handeln plus einer abstrakten<br />
Idealisierung von Wissenschaft, also das, was man den typischen jungakademischen<br />
Wissenschaftsaberglauben nennen kann, der ästhetische Erfahrung innerhalb <strong>des</strong>sen,<br />
was als »Wissenschaft« oder »Geographie« definiert wird, nicht wahrnehmen, noch<br />
weniger bewußt zulassen oder gar fruchtbar ausdifferenzieren kann; das ist alles »zu<br />
unsolide« <strong>und</strong> »zu intim«. Diese unsicher-rigide Haltung ist natürlich auch an ausgewachsenen<br />
Wissenschaftlern zu bemerken.<br />
Man kann nun so resümieren: Es geht nicht um eine Entdifferenzierung, sondern um<br />
eine bessere, bewußtere <strong>und</strong> fruchtbarere Differenzierung der Erfahrungsweisen, auch<br />
in Wissenschaft <strong>und</strong> Planung. Erstens könnte die in Wissenschaft <strong>und</strong> Planung stets<br />
mitlaufende ästhetische Erfahrung dann (auf der psychischen Ebene) bewußtseinsfähiger<br />
<strong>und</strong> (auf der sozialen Ebene) kommunikationsfähiger sein; sie müßte dann z.B. das<br />
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