Spuren und Spurenleser. Zur Theorie und Ästhetik des - repOSitorium
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mutungen darüber anstellen, was auf welchem Rasenstück vermutlich passiert ist oder<br />
passieren wird. Die alltagsweltliche Verständlichkeit <strong>und</strong> Verwertbarkeit also sind es<br />
vor allem, die es notwendig machten, die naturwissenschaftliche <strong>und</strong> die kulturellsymbolische<br />
Beschreibungsebenen miteinander zu verbinden.<br />
Der Geograph Schmithüsen projizierte auf diese Weise aber auch das klassischgeographische<br />
Paradigma auf den Fußballplatz. Auch die klassische Geographie war,<br />
vom modernen Wissenschaftssystem her gesehen, eine Hybridwissenschaft. Das gilt<br />
sogar für Kultur- <strong>und</strong> Physiogeographie je für sich allein. Das Problem einer solchen<br />
Geographie ist in jahrzehntelangen Diskussionen auf den Begriff gebracht worden,<br />
nicht zuletzt durch die Arbeiten von Ulrich Eisel (vgl. 1987, 1991, zusammenfassend<br />
auch Hard 1982, 1992). Ihr Problem lag nicht so sehr in ihrem Hybridcharakter; das<br />
war eher eine potentielle Stärke. Das Problem lag eher darin, daß diese hybride Geographie<br />
sich als eine Art von höherer Synthese <strong>und</strong> Integration von »Spezial-« oder<br />
»Einzelwissenschaften« mißverstand <strong>und</strong> dabei auch noch eine paradigmatisierte (<strong>und</strong><br />
insofern einheitliche) moderne Wissenschaft sein wollte. Dergleichen kann dieser Wissenstyp<br />
im modernen Wissenschaftssystem aber gerade nicht mehr beanspruchen – was<br />
immer auch seine sonstigen Meriten sein mögen. Das gilt meines Erachtens mutatis<br />
mutandis auch für die Vegetationsk<strong>und</strong>e.<br />
Ich muß es einem besseren Kenner der Geschichte der Vegetationsk<strong>und</strong>e überlassen,<br />
im einzelnen zu beschreiben, wie die beiden genannten Perspektiven auch in der Vegetationsk<strong>und</strong>e<br />
fruchtbar koexistiert haben <strong>und</strong> noch immer koexistieren.<br />
1.8 <strong>Zur</strong> Logik der »zweifachen Interpretation« der Stadtvegetation<br />
Strukturen <strong>und</strong> Ereignisse in der Vegetation können immer auf zwei Ebenen beschrieben<br />
werden, auf einer Handlungsebene <strong>und</strong> auf einer strikt ökologisch-geobotanischen<br />
Ebene. Man kann auch sagen: auf einer (mehr) sozialen <strong>und</strong> sozialwissenschaftlichen<br />
<strong>und</strong> auf einer mehr ökologischen <strong>und</strong> naturwissenschaftlichen Ebene. Um dies zu illustrieren<br />
ist eine Analogie hilfreich, deren Idee ich beim Philosophen Searle (1986,<br />
1991) entleihe.<br />
Wenn jemand die Hand hebt, z.B. so, als wolle er zuschlagen, dann kann man diesen<br />
Vorgang im Prinzip rein biologisch (z.B. stoffwechselphysiologisch oder auch neurophysiologisch)<br />
beschreiben <strong>und</strong> erklären. Man kann fragen, welche Muskeln wie <strong>und</strong><br />
warum in Bewegung geraten, welche Enzyme welche chemischen Substanzen produzieren,<br />
welche Neuronenentladungen welche physiologischen Veränderungen verursachen<br />
usw. usf.: Bis sich schließlich der Arm hebt. Man kann aber – im Sinne der zweiten Interpretationsebene<br />
– die beobachtete Bewegung zur »Spur« machen, d.h. als physischmaterielle<br />
Manifestation einer Handlung interpretieren, etwa als Anzeichen einer Wut<br />
<strong>und</strong> eines Impulses, jemanden zu schlagen, ja, als Spur einer Geschichte <strong>und</strong> eines ganzen<br />
Netzes von Intentionen <strong>und</strong> Motiven, die hinter dieser Wut stehen.<br />
Dieselbe Armbewegung könnte aber auch etwas anderes bedeuten: z.B. ein Zeichengeben,<br />
einen Gruß, eine bloß scherzhaft gespielte Geste in einem Gespräch unter<br />
Fre<strong>und</strong>en, eine Lockerungsübung oder eine angelegentliche Prüfung, ob der Arm noch<br />
in Ordnung ist <strong>und</strong> sich normal <strong>und</strong> beschwerdefrei bewegen läßt (<strong>und</strong> vieles andere<br />
mehr). Dann wäre meine erste Annahme (»ein Wutausbruch«) eine Fehl- bzw. Überinterpretation.<br />
Denn Handlungen sind keine Körperbewegungen, sondern gemäß einer<br />
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