Spuren und Spurenleser. Zur Theorie und Ästhetik des - repOSitorium
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F.: Also, so einfach hat man das der Mauer aber nicht angesehen, so wie sie da<br />
heute im Garten vorzufinden ist (...) also ohne daß jetzt dieser Kleingärtner die<br />
Geschichte erzählt hätte, wäre (man) nicht auf so was gekommen?<br />
Jörn reagiert auf eine eigentümlich schwankende <strong>und</strong> widersprüchliche Weise:<br />
J.: Nein ... ohne ... ja schon doch, insofern, als daß bei der Mauer auffällt, daß sie<br />
eben z.T. aus alten Mauerstücken besteht <strong>und</strong> z.T. aus erneuerten <strong>und</strong> ... hm ...<br />
man könnte sich vielleicht fragen, warum ist die so halb <strong>und</strong> halb. Also so ... als<br />
ein Komplex gibt es so etwas nicht ein zweites Mal ... Aber ansonsten, wenn man<br />
da durchgeht, fällt einem das vielleicht nicht so auf.<br />
Erst gibt er der Interviewerin zögernd recht: Ohne die Erzählung <strong>des</strong> Kleingärtners keine<br />
Spur. Dann zieht er das Zugeständnis aber alsbald wieder zurück: Eigentlich müsse<br />
man die Mauer auch ohne besonderen Hinweis schon aufgr<strong>und</strong> ihrer einzigartigen materiellen<br />
Struktur als etwas Besonderes, als eine interessante Spur wahrnehmen. Im folgenden<br />
Satz schwächt er das aber wieder ab: Für jemanden, der einfach vorbeigeht,<br />
mag die Mauer »vielleicht« unsichtbar sein. (Schließlich hat er sie selbst ja auch nicht<br />
ohne weiteres wahrgenommen <strong>und</strong> die Interviewerin auch nicht.) Die Interviewerin versucht,<br />
dieses Hin <strong>und</strong> Her auf einen Nenner zu bringen, <strong>und</strong> Jörn formuliert schließlich<br />
einen Kompromiß: Eigentlich hätte man die Mauer als »Spur« wahrnehmen müssen,<br />
aber ein Übersehen wäre zu entschuldigen; »man«, d.h., der unaufmerksame Zeitgenosse,<br />
könne diese eigenartig mit neuen Steinen ausgebesserte alte Mauer vielleicht übersehen,<br />
nicht so der aufmerksame Beobachter oder <strong>Spuren</strong>leser ... . So hält Jörn seine Inszenierung<br />
eines idealen context of discovery (<strong>und</strong> zugleich <strong>des</strong> idealen <strong>Spuren</strong>lesens)<br />
noch einmal aufrecht: Der Forscher geht hin <strong>und</strong> findet einen interessanten Gegenstand<br />
als Ausgangspunkt seiner Nachforschungen; der ideale <strong>Spuren</strong>leser geht hin <strong>und</strong> findet<br />
die fruchtbare materielle Spur einer interessanten Geschichte.<br />
Dann greift die Interviewerin direkt auf Jörns Andeutung zurück, daß er »schon mal<br />
was davon gehört habe«:<br />
F.: Und Du sagtest, als er, also dieser Kleingärtner, das also praktisch so erzählt<br />
hat, em ... mit dieser Begebenheit, mit dieser ehemaligen Baracke <strong>und</strong> mit dieser<br />
Mauer, em ..., da hattest Du eben gesagt, da sei in Dir noch mal was hochgekommen<br />
... <strong>und</strong> Dir das nochmal eingefallen. Also, hast Du Dich schon mal vorher<br />
damit beschäftigt mit der Sache, mit diesem Thema als solchem?<br />
Jetzt ist Jörn mit einem direkten Zugriff konfrontiert. Erst versucht er, das Thema loszuwerden,<br />
indem er es zur Privatsache macht, dann, indem er einwendet, er habe die<br />
Geschichte schon einmal erzählt, <strong>und</strong> zwar mir (obwohl er in Wirklichkeit bisher nur<br />
einige ganz <strong>und</strong>eutliche Bemerkungen gemacht hatte):<br />
J.: ... ... ja ... das war was Privates ...<br />
F.: Ja?<br />
J.: ... Das habe ich schon mal privat Herrn Hard erzählt ...<br />
F.: Mir nicht!<br />
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