24.06.2017 Aufrufe

Hardt_Michael_Negri_Antonio_Empire_Die_neue_Weltordnung_German

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

DIE DIALEKTIK KOLONIALER SOUVERÄNITÄT 131<br />

Mitunter aber schreibt Toussaint so, als ob die bloße Vorstellung von<br />

Freiheit von den Franzosen geschaffen worden sei und als ob er und seine<br />

aufständischen Kameraden nur dank gnädiger Erlaubnis aus Paris frei seien.<br />

Dabei mag es sich vielleicht um eine bloße rhetorische Strategie handeln,<br />

um ein Beispiel für seine ironische Unterwürfigkeit gegenüber den französischen<br />

Machthabern; mit Sicherheit aber sollte man nicht glauben, dass<br />

Freiheit eine europäische Idee sei. <strong>Die</strong> Sklaven auf Santo Domingo hatten<br />

seit ihrer Gefangennahme und ihrer erzwungenen Emigration aus Afrika<br />

gegen ihre Herren rebelliert. Freiheit wurde ihnen nicht gewährt, sondern in<br />

blutiger und unermüdlicher Schlacht erkämpft. Weder das Streben nach<br />

Freiheit noch deren Erkämpfung haben ihren Ursprung in Frankreich, und<br />

die Schwarzen aus Santo Domingo benötigten die Pariser nicht, um dafür<br />

kämpfen zu lernen. Was Toussaint aus Paris bekommt und zu nutzen weiss,<br />

ist die spezifische Rhetorik der französischen Revolutionäre, die seinem<br />

Streben nach Befreiung eine legitime Form verleiht.<br />

Im 19. Jahrhundert erkannte Karl Marx wie vor ihm Las Casas und<br />

Toussaint L'Ouverture das utopische Potenzial der immer weiter zunehmenden<br />

globalen Interaktions­ und Kommunikationsprozesse. Wie Las Casas<br />

war auch Marx über die Brutalität der europäischen Eroberung und<br />

Ausbeutung entsetzt. Der Kapitalismus war in Europa durch das Blut und<br />

den Schweiß der eroberten und kolonisierten nicht­europäischen Völker<br />

entstanden: »Überhaupt bedurfte die verhüllte Sklaverei der Lohnarbeiter in<br />

Europa zum Piedestal die Sklaverei sans phrase in der <strong>neue</strong>n Welt.« (Marx<br />

1867­94. I, 787) Wie Toussaint L'Ouverture betrachtete auch Marx<br />

menschliche Freiheit als universelles Projekt, das es durch praktisches Handeln<br />

zu verwirklichen galt und von dem keine Bevölkerung ausgeschlossen<br />

bleiben sollte.<br />

<strong>Die</strong>ser globale utopische Ton bei Marx ist gleichwohl ambivalent, vielleicht<br />

sogar in noch höherem Maße als in den beiden anderen Fällen, was<br />

sich deutlich an der Artikelserie über die britische Herrschaft in Indien ablesen<br />

lässt, die Marx 1853 für die New York Daily Tribüne verfasste. In<br />

diesen Artikeln ging es Marx vor allem darum, den Lesern die damals im<br />

britischen Parlament geführte Debatte über den Status der East India Company<br />

zu erklären und sie in die Geschichte britischer Kolonialherrschaft<br />

einzuordnen. Marx weist natürlich sogleich daraufhin, mit welcher Brutalität<br />

die britische »Zivilisation« in Indien eingeführt wurde und welche Zerstörung<br />

und welches Leid die Raffgier des britischen Kapitals und der britischen<br />

Regierung über das Land gebracht hat. Er warnt jedoch zugleich mit

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!