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Hardt_Michael_Negri_Antonio_Empire_Die_neue_Weltordnung_German

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94 PASSAGEN DER SOUVERÄNITÄT<br />

tie dafür, dass die transzendentale Herrschaft sich als notwendig, universell<br />

und damit vorbestimmt in Bewusstsein und Denken einschreibt: »Fürchten<br />

Sie bitte nicht, überall zu versichern und zu veröffentlichen, dass Gott diese<br />

Gesetze in der Natur eingerichtet hat, so wie ein König Gesetze in seinem<br />

Königreich stiftet. Nun gibt es aber keines im Besonderen, das wir nicht<br />

begreifen könnten, wenn unser Geist sich entschließt, es reiflich zu bedenken,<br />

und sie sind alle mentibus noslris ingenitae [unserem Geist eingeboren],<br />

ebenso wie ein König seine Gesetze den Herzen aller seiner Untertanen<br />

einprägen würde, wenn er wohl die Macht dazu hätte. Dagegen können<br />

wir die Größe Gottes nicht begreifen, wenn wir sie auch kennen. Dass wir<br />

ihn aber für unfassbar halten, lässt uns ihn mehr achten; ebenso wie ein<br />

König mehr Majestät besitzt, wenn er von seinen Untertanen in weniger<br />

vertrauter Weise gekannt wird, vorausgesetzt jedoch, dass sie deswegen<br />

nicht glauben, ohne König zu sein, und dass sie ihn genügend kennen, um<br />

nicht an ihm zu zweifeln.« (Descartes 1630, 49) Der Bereich der Möglichkeit,<br />

der mit dem humanistischen Prinzip der Subjektivität eröffnet worden<br />

war, wird a priori durch die Einsetzung einer transzendenten Herrschaftsordnung<br />

eingeschränkt. Immer wieder besetzt Descartes das Terrain, das der<br />

Humanismus bereinigt hatte, mit Theologie, und deren Apparat ist nun<br />

einmal gnadenlos transzendental.<br />

Mit Descartes stehen wir am Beginn der Geschichte der Aufklärung bzw.<br />

der bürgerlichen Ideologie (vgl. <strong>Negri</strong> 1970). Der transzendentale Apparat,<br />

den er vorlegt, ist das spezifische Markenzeichen des europäischen Aufklärungsdenkens.<br />

Sowohl für die empiristische wie für die idealistische Strömung<br />

war der Transzendentalismus ausschließlicher ideologischer Horizont,<br />

und in den folgenden Jahrhunderten sollten so gut wie alle großen<br />

philosophischen Richtungen in dieses Projekt mit einbezogen werden. <strong>Die</strong><br />

Symbiose zwischen intellektueller Anstrengung und institutioneller, politischer<br />

und wissenschaftlicher Rhetorik wurde auf diesem Gebiet zu einer<br />

absoluten, und jegliche Begriffsbildung trägt deren Spuren: die Formalisierung<br />

der Politik, die Instrumentalisierung von Wissenschaft und Technik<br />

zugunsten des Gewinnstrebens, die Pazifizierung gesellschaftlicher Gegensätze.<br />

Zwar lassen sich in jedem dieser Bereiche historisch spezifische Entwicklungen<br />

ausmachen, doch alles hing immer eng an der großen Erzählung,<br />

welche die europäische Moderne von sich selbst gab, einer Erzählung<br />

in transzendentalem Dialekt (vgl. dazu Cacciari 1995).<br />

Im Mittelpunkt dieser Entwicklung steht in vielerlei Hinsicht das Werk<br />

von Immanuel Kant. Kants Denken ist unglaublich vielfältig und weist in

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