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Hardt_Michael_Negri_Antonio_Empire_Die_neue_Weltordnung_German

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408 UNTERGANG UND FALL DES EMPIRE<br />

Davor und einem Danach. <strong>Die</strong>ser Zeitbestimmung kommt das ungeheure<br />

Verdienst zu, die Bestimmung der Zeit von individueller Erfahrung und<br />

Spiritualismus getrennt zu haben. Zeit ist eine kollektive Erfahrung, welche<br />

die Bewegungen der Menge verkörpert und in ihnen lebt. Doch Aristoteles<br />

geht noch einen Schritt weiter und reduziert diese kollektive Zeit, welche<br />

durch die Erfahrung der Menge bestimmt ist, auf ein transzendentes Zeitmaß.<br />

In der gesamten westlichen Metaphysik von Aristoteles über Kant bis<br />

Heidegger wurde die Zeit stets in dieser Transzendenz verortet. In der Moderne<br />

konnte man sich die Wirklichkeit nicht anders denn als Maß vorstellen,<br />

und im Gegenzug konnte man sich das Maß immer nur als (reales oder<br />

formales) Apriori vorstellen, welches das Sein in eine transzendente Ordnung<br />

zwängte. Erst in der Postmoderne kam es zu einem wirklichen Bruch<br />

mit dieser Tradition - nicht mit dem ersten Element in Aristoteles' Zeitdefinition,<br />

also als kollektiver, sondern mit der zweiten, transzendenten Bestimmung.<br />

In der Postmoderne wird die Zeit nicht mehr durch irgendein<br />

transzendentes Maß, irgendein Apriori bestimmt, sondern sie bezieht sich<br />

unmittelbar auf die Existenz, auf das Dasein. Genau in diesem Punkt bricht<br />

man mit der aristotelischen Tradition des Maßes. Im Zusammenhang unserer<br />

Argumentation heißt das: <strong>Die</strong> Transzendenz von Temporalität wird am<br />

entschiedensten durch die Tatsache zerstört, dass es nun unmöglich ist, Zeit<br />

zu messen, weder durch Konvention noch durch Berechnung. <strong>Die</strong> Zeit<br />

»untersteht« nun wieder voll und ganz dem kollektiven Dasein und hat ihren<br />

Platz innerhalb der Kooperation der Menge.<br />

Durch die Kooperation, durch das kollektive Dasein und durch die<br />

kommunikativen Netzwerke, die sich innerhalb der Menge immer wieder<br />

neu ausbilden, eignet man sich die Zeit auf der Immanenzebene wieder an.<br />

Sie ist nicht mehr a priori gegeben, sondern trägt den Stempel kollektiven<br />

Handelns. <strong>Die</strong> <strong>neue</strong> Phänomenologie der Arbeit der Menge erweist diese<br />

Arbeit als schöpferische Tätigkeit, die mit Hilfe von Kooperation jedes<br />

Hindernis überwindet und die Welt ständig neu erschafft. <strong>Die</strong> Tätigkeit der<br />

Menge konstituiert Zeit jenseits des Maßes. Zeit ließe sich somit bestimmen<br />

als das Unmessbare oder Unermessliche der Bewegung zwischen einem<br />

Davor und einem Danach, als immanenter Konstituierungsprozess (vgl.<br />

dazu <strong>Negri</strong> 1997; <strong>Hardt</strong> 1997; Alliez 1996). <strong>Die</strong>se ontologischen Konstituierungsprozesse<br />

entfalten sich durch die kollektiven Kooperationsbewegungen<br />

und erfassen das <strong>neue</strong> Gewebe, das durch die Produktion von Subjektivität<br />

entstanden ist. An diesem Punkt ontologischer Konstitution taucht das<br />

<strong>neue</strong> Proletariat als konstituierende Macht auf.

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