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Hardt_Michael_Negri_Antonio_Empire_Die_neue_Weltordnung_German

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DIE DIALEKTIK KOLONIALER SOUVERÄNITÄT 133<br />

Der einzige »alternative« Weg, den Marx sich vorstellen kann, ist jedoch<br />

genau derjenige, den die europäische Gesellschaft bereits hinter sich hat.<br />

Marx fehlt jegliche Vorstellung davon, dass die indische Gesellschaft eine<br />

andere ist, dass sie andere Möglichkeiten enthält. Er kann die indische Vergangenheit<br />

deshalb einzig als leer und statisch betrachten: »<strong>Die</strong> indische<br />

Gesellschaft hat überhaupt keine Geschichte, zum mindesten keine bekannte<br />

Geschichte. Was wir als ihre Geschichte bezeichnen, ist nichts andres<br />

als die Geschichte der aufeinanderfolgenden Eindringlinge, die ihre Reiche<br />

auf der passiven Grundlage dieser widerstandslosen, sich nicht<br />

verändernden Gesellschaft errichteten.« (Marx 1853c, 220) <strong>Die</strong> Behauptung,<br />

die indische Gesellschaft habe keine Geschichte, meint nicht, dass in<br />

Indien nichts passiert sei, sondern dass der Lauf der Dinge einzig von äußeren<br />

Mächten bestimmt worden sei, während die indische Gesellschaft selbst<br />

passiv geblieben sei, »widerstandslos« und »sich nicht verändernd«. Sicherlich<br />

war Marx' beschränkte Sicht durch seine dürftigen Kenntnisse über<br />

Indiens Gegenwart und Vergangenheit bedingt. 15 Doch auf seinen Mangel<br />

an Information kommt es gar nicht an. Das zentrale Problem liegt vielmehr<br />

darin, dass Marx sich die außereuropäische Geschichte nur so vorstellen<br />

kann, dass sie genau denselben Weg wie die europäische Geschichte nimmt.<br />

»England hat in Indien eine doppelte Mission zu erfüllen«, schrieb er: »eine<br />

zerstörende und eine er<strong>neue</strong>rnde ­ die Zerstörung der alten asiatischen Gesellschaftsordnung<br />

und die Schaffung der materiellen Grundlage einer<br />

westlichen Gesellschaftsordnung in Asien.« (Ebd., 221) Indien kann nur<br />

voranschreiten, wenn es in eine westliche Gesellschaft verwandelt wird. <strong>Die</strong><br />

ganze Welt kann sich nur dann nach vorne bewegen, wenn sie in die Fußstapfen<br />

Europas tritt. Letztlich unterscheidet sich der Eurozentrismus bei<br />

Marx nicht wesentlich von demjenigen bei Las Casas.<br />

<strong>Die</strong> Krise der kolonialen Sklaverei<br />

Obwohl der utopische Tonfall im historischen Prozess des weltweiten Zusammenwachsens<br />

und der Vernetzung in der Moderne immer deutlicher zu<br />

vernehmen ist, wird er von den Kräften der europäischen Vorherrschaft<br />

beständig militärisch und ideologisch unterdrückt. <strong>Die</strong> Folge davon sind vor<br />

allem Massaker in einem bis dahin unvorstellbaren Ausmaß und die Etalerung<br />

der rassischen, politischen und ökonomischen Strukturen europäischer<br />

Herrschaft in der nicht­europäischen Welt. Der Aufstieg zur europäi­

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