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Hardt_Michael_Negri_Antonio_Empire_Die_neue_Weltordnung_German

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404 UNTERGANG UND FALL DES EMPIRE<br />

genblick fluten sie über die Grenzen des Maßes hinweg und lassen diese<br />

zertrümmert zurück. <strong>Die</strong> Bewegungen der Menge eröffnen <strong>neue</strong> Räume und<br />

etablieren <strong>neue</strong> Aufenthaltsorte. Autonome Bewegung bestimmt den Ort,<br />

der der Menge eigen ist. Reisepässe und andere Dokumente werden unsere<br />

Bewegungen über Grenzen hinweg immer weniger regulieren können. <strong>Die</strong><br />

Menge lässt eine <strong>neue</strong> Geografie entstehen, in der der produktive Strom von<br />

Körpern <strong>neue</strong> Flüsse und Häfen ausbildet. <strong>Die</strong> Städte dieser Welt werden<br />

große Depots kooperierender Menschen und Lokomotiven der Zirkulation<br />

sein, temporäre Aufenthaltsorte und Netzwerke zur massenhaften Distribution<br />

lebendiger Humanität.<br />

Mittels Zirkulation macht sich die Menge den Raum wieder zu eigen und<br />

konstituiert sich als handelndes Subjekt. Betrachten wir genauer, wie dieser<br />

konstitutive Subjektivitätsprozess verläuft, so erkennen wir, dass die <strong>neue</strong>n<br />

Räume mittels ungewöhnlicher Topologien beschrieben sind, mittels unterirdischer<br />

und nicht einzugrenzender Rhizome - mittels geografischer Mythologien,<br />

welche die <strong>neue</strong>n Pfade des Schicksals markieren. <strong>Die</strong>se Bewegungen<br />

werden oftmals mit schrecklichem Leid erkauft, doch in ihnen liegt<br />

auch eine Sehnsucht nach Befreiung, die erst befriedigt ist, wenn man sich<br />

die <strong>neue</strong>n Räume wieder angeeignet und um sie herum <strong>neue</strong> Freiheiten errichtet<br />

hat. <strong>Die</strong>se Bewegungen kommen überall an, und entlang ihrer Wege<br />

sorgen sie für <strong>neue</strong> Lebens- und Kooperationsformen - überall schaffen sie<br />

das Vermögen, von dem der parasitäre Kapitalismus der Postmoderne sonst<br />

nicht wüsste, wie er es aus dem Blut des Proletariats saugen sollte, denn<br />

heute spielt sich Produktion zunehmend in Bewegung und Kooperation, in<br />

Exodus und Gemeinschaft ab. Kann man sich die Landwirtschaft und das<br />

<strong>Die</strong>nstleistungsgewerbe in den USA ohne Arbeitsmigranten aus Mexiko<br />

vorstellen? Oder die arabische Ölförderung ohne Palästinenser und Pakistanis?<br />

Mehr noch: Wo wären die großen innovativen Bereiche immaterieller<br />

Produktion, vom Design bis zur Mode, von der Elektronik bis zur Naturwissenschaft,<br />

in Europa, in den USA und in Asien ohne die »illegale Arbeit«<br />

der großen Massen, die vom strahlenden Horizont des kapitalistischen<br />

Wohlstands und der Freiheit angezogen werden? Massenhafte Migrationen<br />

sind unabdingbar geworden für die Produktion. Jeder Pfad wird gebahnt,<br />

auf der Karte verzeichnet und beschritten. Es hat den Anschein, als ob jeder<br />

Pfad umso produktiver wird, je stärker er begangen ist und je mehr Leid auf<br />

ihm abgeladen wird. <strong>Die</strong>se Pfade sind es, die den »irdischen Staat« aus der<br />

Umnebelung und Verwirrung, in die das <strong>Empire</strong> ihn hüllt, hinausführen.<br />

Auf diese Weise erlangt die Menge die Macht, ihre Autonomie zu unter-

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