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Hardt_Michael_Negri_Antonio_Empire_Die_neue_Weltordnung_German

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144 PASSAGEN DER SOUVERÄNITÄT<br />

Stimmung der Kolonisierten beruhen. Der Moment der Negativität wird als<br />

notwendiger erster Schritt auf dem Weg zum wirklichen Ziel einer rassenlosen<br />

Gesellschaft betrachtet, in der die Gleichheit, Freiheit und Menschenwürde<br />

aller anerkannt werden.<br />

Trotz der stringenten dialektischen Logik dieser Sartreschen Kulturpolitik<br />

jedoch scheint uns die Strategie, die sie vorschlägt, vollkommen illusorisch<br />

zu sein. <strong>Die</strong> Macht der Dialektik, die in den Händen der Kolonialmacht<br />

die Wirklichkeit der Kolonialwelt mystifizierte, wird nun ihrerseits<br />

als Teil des antikolonialen Projekts übernommen, gerade so, als ob die<br />

Dialektik selbst die Form sei, in der sich Geschichte tatsächlich bewegt.<br />

Wirklichkeit und Geschichte sind jedoch nicht dialektisch und keine noch<br />

so idealistischen rhetorischen Verrenkungen können sie diesem Dialekt<br />

anpassen.<br />

<strong>Die</strong> Strategie der Negativität, der Moment des Bumerang erscheint jedoch<br />

in einem gänzlich anderen Licht, wenn man sie in eine nichtdialektische<br />

Form bringt und eher in politischer denn in kultureller Hinsicht<br />

begreift. Frantz Fanon beispielsweise weist die Kulturpolitik der negritude<br />

mitsamt ihrem schwarzen Identitätsbewusstsein zurück und setzt als revolutionäre<br />

Antithese stattdessen auf physische Gewalt. Der ursprüngliche<br />

Gewaltmoment ist derjenige des Kolonialismus: die Beherrschung und<br />

Ausbeutung der Kolonisierten durch die Kolonisatoren. Der zweite Moment,<br />

die Antwort der Kolonisierten auf diese ursprüngliche Gewalt, kann<br />

im kolonialen Zusammenhang alle möglichen pervertierten Formen annehmen.<br />

»<strong>Die</strong>se in seinen Muskeln sitzende Aggressivität wird der Kolonisierte<br />

zunächst gegen seinesgleichen richten.« (Fanon 1961, 40) <strong>Die</strong> Gewalt unter<br />

der kolonisierten Bevölkerung, die man manchmal für Überbleibsel alter<br />

Stammes­ oder Glaubensgegensätze hält, ist in Wirklichkeit der pathologische<br />

Reflex auf die Gewalt des Kolonialismus, ein Reflex, der sich oftmals<br />

in Gestalt von Geisterglauben, Mythen, ekstatischen Tänzen und Geistesgestörtheit<br />

manifestiert. Fanon rät den Kolonisierten nicht, zu fliehen oder der<br />

Gewalt aus dem Weg zu gehen. Der Kolonialismus perpetuiert allein durch<br />

sein Funktionieren diese Gewalt, und wenn sie sich nicht direkt gegen jemanden<br />

richtet, so wird sie sich doch auch weiterhin in diesen destruktiven,<br />

pathologischen Formen niederschlagen. Der einzige Weg der Heilung, den<br />

Doktor Fanon empfehlen kann, ist derjenige der Gegengewalt (Fanon 1961,<br />

47­50). Mehr noch, es ist der einzige Weg zur Befreiung. Der Sklave, der<br />

niemals für seine Freiheit kämpft, der einfach nur von seinem Herrn freigelassen<br />

wird, wird für immer ein Sklave bleiben. Das ist genau die

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