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Hardt_Michael_Negri_Antonio_Empire_Die_neue_Weltordnung_German

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IMPERIALE SOUVERÄNITÄT 213<br />

Menge auf der einen Seite und der transzendenten Autorität, die diese<br />

Kräfte im Zaum zu halten und einer Ordnung zu unterwerfen sucht, auf der<br />

anderen Seite. Wir erkennen nunmehr, dass die imperiale Souveränität im<br />

Gegensatz dazu nicht um einen zentralen Konflikt herum organisiert ist,<br />

sondern über ein flexibles Netzwerk von Mikrokonflikten. <strong>Die</strong> Widersprüche<br />

der imperialen Gesellschaft sind schwer zu bestimmen, weiten sich<br />

ständig aus und sind nicht zu lokalisieren ­ die Widersprüche sind überall.<br />

Statt des Begriffs der Krise sollte man deshalb zur Bestimmung imperialer<br />

Souveränität eher den der Omni­Krise oder besser noch der Korruption<br />

verwenden. Es handelt sich um einen Gemeinplatz der klassischen Literatur<br />

zum <strong>Empire</strong>, von Polybius bis Montesquieu und Gibbon, dass das <strong>Empire</strong><br />

von Anfang an dekadent und korrupt ist.<br />

<strong>Die</strong>se Terminologie lässt sich leicht missverstehen. Darum sei deutlich<br />

gesagt: Wenn wir imperiale Souveränität als Korruption definieren, so ist<br />

damit keinerlei moralisches Urteil verbunden. In seiner heutigen und modernen<br />

Verwendung ist Korruption in der Tat zu einem für unsere Zwecke<br />

wenig brauchbaren Begriff geworden. Er bezieht sich heute gewöhnlich<br />

einzig auf das Pervertierte, auf das, was vom Moralischen, Guten, Reinen<br />

abweicht. Unsere Absicht hingegen ist es, den Begriff ohne alle moralischen<br />

Beiklänge für einen allgemeinen Prozess der Dekomposition und<br />

Mutation zu verwenden; dabei beziehen wir uns auf seine antike Verwendung,<br />

die heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Aristoteles beispielsweise<br />

verstand unter Korruption das, wozu Körper werden, d.h. einen<br />

der Erzeugung (generatio) komplementären Prozess (Aristoteles 1958; vgl.<br />

Schürmann 1996). Wir sollten Korruption somit als De­Generation auffassen<br />

­ als einen Umkehrprozess der Erzeugung und Komposition, als ein<br />

Moment der Metamorphose, das potenziell <strong>neue</strong> Freiräume für eine Veränderung<br />

eröffnet. Wir müssen all die gängigen Vorstellungen vergessen, die<br />

uns üblicherweise in den Sinn kommen, wenn wir von imperialer Dekadenz,<br />

Korruption und Degeneration sprechen. Ein solcher Moralismus ist<br />

hier völlig fehl am Platz. Viel wichtiger ist eine genaue Betrachtung der<br />

Form, das heißt, dass das <strong>Empire</strong> durch ein (Ver­)Fließen der Form gekennzeichnet<br />

ist ­ ein Auf und Ab von Formation und Deformation, Generation<br />

und Degeneration.<br />

Zu behaupten, imperiale Souveränität sei durch Korruption bestimmt,<br />

bedeutet auf der einen Seite, dass das <strong>Empire</strong> unrein oder hybrid ist, und auf<br />

der anderen Seite, dass imperiale Herrschaft mittels »Zusammenbrechen«<br />

funktioniert (hier zeigt sich die exakte lateinische Etymologie des Wortes:

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