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Hardt_Michael_Negri_Antonio_Empire_Die_neue_Weltordnung_German

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IMPERIALE SOUVERÄNITÄT 211<br />

tiger Unterstützung der USA, der UNO und andere globaler Institutionen<br />

ethnische Identitäten (wieder-)geschaffen. Lokale Sprachen, traditionelle<br />

Ortsnamen, altes Handwerk und Kunsthandwerk usw. werden als wichtige<br />

Komponenten beim Übergang von Sozialismus zum Kapitalismus hervorgehoben<br />

(vgl. am Beispiel Chinas Litzinger 1998). <strong>Die</strong>se Differenzen, so<br />

glaubt man, seien »kulturell« und weniger »politisch«, und zwar in der Annahme,<br />

sie würden nicht zu unkontrollierbaren Konflikten fuhren, sondern<br />

zur friedlichen regionalen Identifikation beitragen. In ähnlicher Weise feiern<br />

in den USA zahlreiche offizielle Befürworter des Multikulturalismus<br />

die traditionellen ethnischen und kulturellen Differenzen unter dem gemeinsamen<br />

Dach universeller Inklusion. Das <strong>Empire</strong> schafft keine Differenzen.<br />

Es nimmt, was es bekommt, und arbeitet damit.<br />

Dem unterscheidenden Moment imperialer Kontrolle müssen jedoch<br />

noch die Koordinierung und Hierarchisierung dieser Differenzen in einer<br />

allgemeinen Befehlsökonomie folgen. Während die Kolonialmacht reine,<br />

getrennte Identitäten festzulegen suchte, lebt das <strong>Empire</strong> von Bewegungsund<br />

Vermischungskreisläufen. Der Kolonialapparat war eine Art Hohlform,<br />

die feste, unterschiedliche Formen schuf; die imperiale Kontrollgesellschaft<br />

hingegen funktioniert mittels Modulation, sie gleicht »einer sich selbst verformenden<br />

Gussform, die sich von einem Moment zum anderen verändert,<br />

oder einem Sieb, dessen Maschen von einem Punkt zum anderen variieren«<br />

(Deleuze 1993, 256). Das Koloniale stellt eine simple Gleichung mit einer<br />

einzigen Lösung auf; das Imperiale zeichnet sich durch eine Vielzahl komplexer<br />

Variablen aus, die sich ständig verändern und eine Vielzahl stets<br />

unvollständiger, aber gleichwohl effektiver Lösungen erlauben.<br />

In einem gewissen Sinne könnte man somit das Koloniale als eher ideologisch<br />

und das Imperiale als eher pragmatisch bezeichnen. Ein Beispiel für<br />

die imperiale Strategie ist etwa die Praxis der Fabriken in Neu-England und<br />

der Kohlegruben in den Appalachen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. <strong>Die</strong><br />

Fabriken und Bergwerke waren von kurz zuvor eingetroffenen Arbeitsimmigranten<br />

aus verschiedenen europäischen Ländern abhängig, von denen<br />

viele die Traditionen des militanten Arbeitskampfs mitgebracht hatten. <strong>Die</strong><br />

Bosse scheuten sich jedoch nicht, dieses potenziell explosive Arbeitergemisch<br />

zusammen zu bringen. Sie erkannten nämlich, dass sorgsam austarierte<br />

Anteile von Arbeitern unterschiedlicher Nationalität in jeder Werkstatt<br />

und in jedem Bergwerk das eigene Kommando deutlich stärkten. <strong>Die</strong><br />

sprachlichen, kulturellen und ethnischen Differenzen innerhalb jeder Arbeitseinheit<br />

oder Schicht erwiesen sich als stabilisierend, weil sie als Waffe

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