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Hardt_Michael_Negri_Antonio_Empire_Die_neue_Weltordnung_German

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NETZWERK-MACHT: DIE SOUVERÄNITÄT DER USA 181<br />

überwindlichen Gegensätze oder feste soziale Beziehungen. Es ist ein Terrain,<br />

das es zu verändern und zu durchqueren gilt.<br />

Schon in der ersten Phase wird somit ein <strong>neue</strong>s Souveränitätsprinzip<br />

betont, das sich vom europäischen unterscheidet: Freiheit wird zum Souverän,<br />

und Souveränität wird definiert als radikal demokratisch innerhalb eines<br />

offenen und kontinuierlichen Expansionsprozesses. <strong>Die</strong> Grenze ist eine<br />

Grenze der Freiheit. <strong>Die</strong> Rhetorik der Autoren des Federalist wäre ziemlich<br />

hohl und ihre »<strong>neue</strong> politische Wissenschaft« ziemlich unangemessen gewesen,<br />

hätten sie nicht diese ungeheure und bewegliche Grenzschwelle der<br />

frontier vorausgesetzt. Schon die bloße Vorstellung von Knappheit, die<br />

-wie die Vorstellung von Krieg - im Mittelpunkt des europäischen Souveränitätsbegriffs<br />

steht, wird bei den konstitutiven Prozessen in den USA a<br />

priori ausgeschlossen. Jefferson und Jackson erkannten beide die Materialität<br />

der frontier und verstanden sie als Basis, auf die sich die Expansion der<br />

Demokratie stützen konnte. 27 Freiheit und Grenze standen in einem Verhältnis<br />

wechselseitiger Implikation zueinander: Jede Schwierigkeit, jede<br />

Einschränkung der Freiheit ist ein Hindernis, das es zu überwinden gilt,<br />

eine zu überschreitende Schwelle. Vom Atlantik bis zum Pazifik erstreckte<br />

sich ein Gebiet von Wohlstand und Freiheit, das ständig für <strong>neue</strong> Fluchtlinien<br />

offen war. Innerhalb dieses Rahmens kommt es zu einer zumindest<br />

teilweisen Ersetzung oder Aullösung der ambivalenten Dialektik, die sich,<br />

wie wir gesehen haben, innerhalb der amerikanischen Verfassung entwikkelte<br />

und die die immanenten Prinzipien der Unabhängigkeitserklärung<br />

einer transzendenten, auf konstitutioneller Selbstreflexion beruhenden Ordnung<br />

unterwarf. Über die großen offenen Räume hinweg siegt die konstituierende<br />

Tendenz über die konstitutionelle Verordnung, die Immanenz des<br />

Prinzips über die regulative Reflexion und die Initiative der Menge über die<br />

Zentralisierung von Macht.<br />

<strong>Die</strong>se Utopie offener Räume, die in der ersten Phase der amerikanischen<br />

Verfassungsgeschichte eine so wichtige Rolle spielt, enthält jedoch versteckt<br />

bereits eine brutale Form der Unterordnung. <strong>Die</strong> Vorstellung, das<br />

Terrain Nordamerikas sei leer, lässt sich nämlich nur dann aufrecht erhalten,<br />

wenn man bewusst die Existenz der amerikanischen Ureinwohner ignoriert<br />

- oder genauer gesagt sie als andere Kategorie von Menschen betrachtet,<br />

als »Untermenschen« und als Teil der natürlichen Umwelt. So wie das<br />

Land von Bäumen und Gestein befreit werden muss, um es landwirtschaftlich<br />

nutzen zu können, so muss das Terrain auch von den Ureinwohnern<br />

»gesäubert« werden. So wie die Siedler sich gegen die strengen Winter

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