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Hardt_Michael_Negri_Antonio_Empire_Die_neue_Weltordnung_German

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96 PASSAGEN DER SOUVERÄNITÄT<br />

Denken hinzuweisen (ebd., I, 18). Ihm war es unerträglich, dass Hegel der<br />

schwachen konstitutiven Funktion von Kants transzendentaler Kritik mit<br />

aller Gewalt eine solide ontologische Form geben wollte. Darin lag denn<br />

auch die Bestimmung des Transzendentalen in der europäischen Ideologie<br />

der Moderne. Hegel enthüllte nur, was in der gegenrevolutionären Bewegung<br />

von Beginn an implizit vorhanden war: dass die Befreiung des modernen<br />

Menschen lediglich eine Funktion seiner Beherrschung sein konnte,<br />

dass das immanente Ziel der Menge in die notwendige und transzendente<br />

Macht des Staates verwandelt werden musste. Es stimmt, dass Hegel den<br />

Horizont der Immanenz wieder herstellt und die Unsicherheit des Wissens,<br />

die Unentschlossenheit im Handeln und die fideistischen Bestandteile des<br />

Kantianismus beseitigt. Doch diese Immanenz bei Hegel ist in Wahrheit<br />

eine blinde Immanenz, in der die Möglichkeiten der Menge geleugnet und<br />

unter die Allegorie der göttlichen Ordnung subsumiert werden. <strong>Die</strong> Krise<br />

des Humanismus wird in eine dialektische Dramaturgie verwandelt, bei der<br />

in jeder Szene der Zweck alles ist und die Mittel bloßes Beiwerk sind.<br />

Es gibt nichts mehr, das strebt, begehrt oder liebt; der Inhalt der Potenzialität<br />

wird durch die Finalität blockiert, kontrolliert und beherrscht. Paradoxerweise<br />

feiert die Seinsähnlichkeit der christlichen Tradition des Mittelalters<br />

als dialektisches Sein Wiederauferstehung. Ironischerweise nennt<br />

Schopenhauer ausgerechnet Hegel einen Kaliban, also die Gestalt, die später<br />

als Symbol des Widerstandes gegen europäische Vorherrschaft und der<br />

Position eines nicht-europäischen Begehrens verehrt wurde. Hegels Drama<br />

vom Anderen und der Konflikt zwischen Herr und Knecht konnten jedoch<br />

nur vor dem historischen Hintergrund der europäischen Expansion und der<br />

Versklavung der afrikanischen, amerikanischen und asiatischen Völker<br />

stattfinden. Mit anderen Worten: Es ist unmöglich, Hegels philosophische<br />

Wiedereinsetzung des Anderen im Rahmen eines absoluten Geistes sowie<br />

seine Universalgeschichte, die unilinear von minderwertigeren Völkern bis<br />

zu ihrem Höhepunkt in Europa führt, nicht mit der ganz realen Gewalt der<br />

europäischen Eroberung und Kolonisierung in Beziehung zu setzen. Kurz:<br />

Hegels Geschichtsphilosophie ist nicht nur ein vehementer Angriff auf die<br />

revolutionäre Sphäre der Immanenz, sondern auch eine Negation des nichteuropäischen<br />

Begehrens.<br />

Und schließlich pflanzte dieser »intellektuelle Kaliban« in einem weiteren<br />

Gewaltakt der Entwicklung der Moderne die Erfahrung einer <strong>neue</strong>n<br />

Zeitvorstellung ein und stellte diese Temporalität als eine dialektische Teleologie<br />

dar, die vollendet und an ihr Ende gekommen sei. <strong>Die</strong> gesamte

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