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Hardt_Michael_Negri_Antonio_Empire_Die_neue_Weltordnung_German

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160 PASSAGEN DER SOUVERÄNITÄT<br />

formismus waren zu verschiedenen Zeiten im 18. und 19. Jahrhundert starke<br />

Bewegungen, und die heutigen Formen des islamischen Radikalismus<br />

weisen gewisse Ähnlichkeiten mit diesen früheren Bewegungen auf. <strong>Die</strong><br />

islamischen Fundamentalismen aber eint vor allem eines: Sie sind kategorisch<br />

gegen die Moderne und die Modernisierung. Insofern die politische<br />

und kulturelle Modernisierung ein Säkularisierungsprozess war, widersetzen<br />

sich die islamischen Fundamentalismen diesem, indem sie heilige Texte<br />

ins Zentrum politischer Verfassungen stellen und indem religiöse Führer,<br />

die Geistliche wie auch Rechtsgelehrte sind, politische Machtpositionen<br />

einnehmen. Auch in Fragen der Geschlechterrollen, der Familienstrukturen<br />

und der kulturellen Formen wird gemeinhin den sich fortschreitend verändernden<br />

säkularen Formen der Moderne eine unveränderliche, traditionelle<br />

religiöse Norm entgegengesetzt. Der dynamischen und säkularen Gesellschaft<br />

der Moderne scheint der Fundamentalismus eine statische und religiöse<br />

Gesellschaft entgegenzustellen. In diesem Licht, also als Anti­Modernismus,<br />

sind die islamischen Fundamentalismen offenbar darum bemüht,<br />

den gesellschaftlichen Modernisierungsprozess umzukehren, sich von den<br />

globalen Entwicklungen der Moderne abzukoppeln und wieder eine vormoderne<br />

Welt zu schaffen. Aus dieser Sicht ließe sich beispielsweise die iranische<br />

Revolution von 1979 als Gegenrevolution verstehen, die eine alte Ordnung<br />

wiederherstellen wollte.<br />

Auch die christlichen Fundamentalismen in den Vereinigten Staaten<br />

stellen sich als Bewegungen gegen gesellschaftliche Modernisierung dar<br />

und wollen stattdessen eine ­ so glauben sie ­ vergangene Gesellschaftsformation<br />

wieder herstellen, die auf heiligen Texten gründet. <strong>Die</strong>se Bewegungen<br />

sollte man in einer Reihe mit der langen US­amerikanischen Tradition<br />

von Projekten sehen, die in Amerika ein <strong>neue</strong>s Jerusalem schaffen<br />

wollten, eine christliche Gemeinschaft fern der Verdorbenheit Europas wie<br />

auch der Barbarei der »unzivilisierten« Welt (Stephanson 1995). <strong>Die</strong> gesellschaftliche<br />

Tagesordnung heutiger christlich­fundamentalistischer Gruppen<br />

wird vor allem von der (Wieder­)Erschaffung der stabilen und hierarchisch<br />

strukturierten Kernfamilie bestimmt, von der man glaubt, es habe sie in<br />

einer früheren Zeit gegeben; aus diesem Grund ziehen diese Gruppen vor<br />

allem gegen die Abtreibung und die Homosexualität zu Felde. Darüber hinaus<br />

waren die christlichen Fundamentalismen in den USA stets auch (je<br />

nach Zeit und Region mehr oder weniger unverhohlen) an der Überlegenheit<br />

der Weißen und an Rassenreinheit orientiert. Das <strong>neue</strong> Jerusalem stellte<br />

man sich fast immer als weißes und patriarchalisches Jerusalem vor.

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