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Hardt_Michael_Negri_Antonio_Empire_Die_neue_Weltordnung_German

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98 PASSAGEN DER SOUVERÄNITÄT<br />

gerkriegs als Urzustand menschlicher Gesellschaft, ein generalisierter Konflikt<br />

zwischen einzelnen Akteuren. Um das Überleben angesichts der tödlichen<br />

Bedrohungen durch den Krieg zu sichern, müssen die Menschen dann<br />

in einem zweiten Schritt einem Vertrag zustimmen, der einem Führer das<br />

absolute Handlungsrecht zugesteht, oder genauer gesagt: die uneingeschränkte<br />

Macht, alles zu tun, mit einer Ausnahme: den Menschen die<br />

Möglichkeit des Überlebens und der Reproduktion zu nehmen. »(...) da es<br />

die richtige Vernunft an sich nicht gibt, so ist unerlässlich, dass die Vernunft<br />

irgendeines Mannes oder irgendeiner Anzahl Männer die Stelle derselben<br />

einnehmen muss, und jener Mann bzw. jene Männer sind die, welche<br />

die herrschende Gewalt haben (...).« (Hobbes 1640, 209) Der fundamentale<br />

Wandel wird durch einen Vertrag besiegelt - einen vollkommen impliziten<br />

Vertrag, der jedem sozialen Handeln oder jeder Wahlentscheidung vorausgeht<br />

—, der alle autonome Macht der Menge auf eine souveräne Macht, die<br />

über der Menge steht und sie regiert, überträgt.<br />

<strong>Die</strong>ser transzendente politische Apparat entspricht den notwendigen und<br />

unausweichlichen transzendenten Bedingungen, welche die moderne Philosophie<br />

auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung aufstellte, nämlich in Gestalt<br />

des Kantschen Schematismus und der Hegeischen Dialektik. Nach Hobbes<br />

konvergieren die einzelnen Willensäußerungen verschiedener Individuen im<br />

Willen des transzendenten Souveräns und sind in ihm repräsentiert. Souveränität<br />

ist damit durch Transzendenz und Repräsentation bestimmt, zwei<br />

Begriffe, welche die humanistische Tradition als Widersprüche einander<br />

gegenübergestellt hatte. Auf der einen Seite gründet die Transzendenz des<br />

Souveräns nicht nur in einer äußeren theologischen Unterstützung, sondern<br />

auch in der immanenten Logik menschlicher Beziehungen. Auf der anderen<br />

Seite entfremdet die Repräsentation, die diese souveräne Macht legitimieren<br />

soll, diese Macht vollständig von der Menge der Subjekte. Hobbes erkannte<br />

wie schon Jean Bodin vor ihm, »dass das Wesen der souveränen Macht und<br />

absoluter Gewalt vor allem darin besteht, den Untertanen in ihrer Gesamtheit<br />

ohne ihre Zustimmung das Gesetz vorzuschreiben« (Bodin 1576, I,<br />

222); doch Hobbes gelingt es nunmehr, diese Feststellung mit einem Vertragsschema<br />

der Repräsentation zu verbinden, das die souveräne Macht a<br />

priori legitimiert. Damit ist der Begriff der modernen Souveränität im Zustand<br />

transzendentaler Reinheit geboren. Der Gesellschaftsvertrag ist insgeheim<br />

ein Unterwerfungsvertrag und mit diesem untrennbar verbunden. <strong>Die</strong>se<br />

Souveränitätstheorie war die erste politische Lösung der Krise der<br />

Moderne.

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