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Hardt_Michael_Negri_Antonio_Empire_Die_neue_Weltordnung_German

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GEMISCHTE VERFASSUNG 333<br />

große Wizard of Oz, der alles, was gesehen, gedacht und gemacht wird,<br />

kontrolliert. Es gibt keine zentrale Kontrolle im Spektakel. Das Spektakel<br />

funktioniert aber gerade so, als ob es diese zentrale Kontrollstelle gäbe.<br />

Debord nennt daher das Spektakel gleichermaßen diffus und integriert. <strong>Die</strong><br />

Verschwörungstheorien über Regierungs- und Nichtregierungspläne zur<br />

weltweiten Kontrolle, die in den letzten Jahrzehnten Konjunktur hatten,<br />

sind daher zugleich wahr und falsch. Fredric Jameson etwa beschreibt anhand<br />

zeitgenössischer Kinofilme, dass Verschwörungstheorien eine zwar<br />

krude. jedoch effektive Art sind, sich der Funktionsweise der Totalität anzunähern<br />

(Jameson 1992b). Das Spektakel der Politik funktioniert, als ob<br />

die Medien, das Militär, die Regierung, die transnationalen Konzerne, die<br />

Finanzinstitutionen der Welt und so weiter alle bewusst und direkt von einer<br />

einzigen Macht gesteuert würden, was in Wirklichkeit nicht der Fall ist.<br />

<strong>Die</strong> Gesellschaft des Spektakels herrscht, indem sie einen alten Degen<br />

fuhrt. Hobbes erkannte schon vor Jahrhunderten für die Wirksamkeit der<br />

Herrschaft: »<strong>Die</strong> Leidenschaft, die die Menschen am wenigsten die Gesetze<br />

übertreten lässt, ist Furcht.« (Hobbes 1651, Kap. 27) Furcht sichert für Hobbes<br />

die Gesellschaftsordnung und hält sie zusammen, und auch heute noch<br />

ist Furcht der erste Kontrollmechanismus in der Gesellschaft des Spektakels<br />

(vgl. Massumi 1993). Obwohl das Spektakel durch Begehren (nach Waren)<br />

und Lust (am Konsum) zu funktionieren scheint, beruht es doch tatsächlich<br />

auf der Kommunikation der Furcht - oder vielmehr schafft das Spektakel<br />

Formen des Begehrens und der Lust, die eng mit der Furcht verbunden sind.<br />

Im Vokabular der frühen europäischen Philosophie nannte man die Kommunikation<br />

der Furcht Aberglaube. Und die Politik der Furcht breitete sich<br />

immer schon durch eine Art Aberglaube aus. Was sich verändert hat, sind<br />

die Formen und Mechanismen von Aberglauben, die Furcht einflößen.<br />

Das Spektakel der Furcht, das Postmoderne, hybride Konstitution und<br />

die mediale Manipulation der Öffentlichkeit und der Politik zusammenhält,<br />

entzieht dem Kampf um die imperiale Konstitution in gewisser Weise die<br />

Grundlage. Es scheint, als gäbe es keinen Standpunkt mehr, keinen Widerstand<br />

von Gewicht, nur noch eine unerbittliche Machtmaschine. Es ist in<br />

der Tat wichtig, die Macht des Spektakels und die Unmöglichkeit traditioneller<br />

Kampfformen anzuerkennen, aber das ist nicht das Ende der Geschichte.<br />

Mit dem Niedergang der alten Formen und Orte der Auseinandersetzung<br />

entstehen <strong>neue</strong> und mächtigere. Das Spektakel der imperialen<br />

Ordnung ist keine gepanzerte Festung, sondern eröffnet die Möglichkeit, sie<br />

zu stürmen: die <strong>neue</strong>n Potenziale der Revolution.

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