KLIBB - Herausforderung Klimawandel
KLIBB - Herausforderung Klimawandel
KLIBB - Herausforderung Klimawandel
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
128 <strong>Herausforderung</strong> <strong>Klimawandel</strong> Baden-Württemberg<br />
Tiere aber schlecht angepasst, weil sie langsam sind, leicht gefressen werden und schnell vertrocknen.<br />
Die Wiederbesiedlung nach einem Extremereignis und die Einwanderung von besser angepassten<br />
Arten aus dem Süden Europas ist also bei Organismen die sich entweder passiv oder aktiv schnell<br />
ausbreiten können kein grundsätzliches Problem. Dies trifft für die Mikroflora und Mikro- und<br />
Mesofauna und für viele Vertreter der Makrofauna zu. Bei der sehr wichtigen Tiergruppe der<br />
Regenwürmer könnte die Einwanderung hingegen ein kritischer Faktor sein, daher wird sie näher<br />
betrachtet.<br />
Wanderung von Regenwürmern<br />
Die aktive Wanderungsgeschwindigkeit von Regenwürmern wurde öfters untersucht. Sie ist mit 5<br />
- 10 m/Jahr pro Jahr, das entspricht unter 100 km in 10.000 Jahren, sehr langsam (MARINIS-<br />
SEN & VAN DEN BOSCH 1992, HOOGERKAMP et al. 1983). Mit dieser Ausbreitungsgeschwindigkeit<br />
alleine lässt sich aber schon die nacheiszeitliche Besiedlung Nordeuropas mit<br />
Regenwürmern nicht mehr erklären, Regenwürmer kommen heute nämlich beispielsweise auch in<br />
Schweden vor. Die Ausbreitung ist vielmehr eine Kombination von aktiver Fortbewegung und<br />
passiver Verfrachtung zum Beispiel durch Flüsse, Menschen oder Tiere. Allerdings ist diese<br />
Kombination nicht so schnell, um in wenigen Jahren große Areale gleichmäßig besiedeln zu können.<br />
Dies zeigt das Beispiel der Besiedlung Nordamerikas nach der letzten Eiszeit. Große Flächen<br />
waren dort aufgrund des riesigen laurentidischen Eisschildes frei von Regenwürmern. Die<br />
nordamerikanischen Regenwurmarten konnten trotz klimatischer Eignung der meisten Flächen<br />
in den letzten 10.000 Jahren einen großen Teil dieser Flächen nicht wieder besiedeln. Auch die<br />
Einwanderung verschleppter europäischer Regenwurmarten in die vormals regenwurmfreien Gebiete<br />
ist noch nicht abgeschlossen. Dies liegt nicht prinzipiell an der Ungunst des Klimas, denn<br />
regenwurmfrei sind nicht nur boreale Wälder (z. B. in Alberta) sondern auch teilweise Wälder der<br />
nördlichen gemäßigten Breiten (z. B. in den US-Bundesstaaten Minnesota und New York). In<br />
diese Wälder wandern derzeit vor allem europäische Regenwurmarten ein und verändern massiv<br />
den Standort (BOHLEN et al. 2004, DYMOND et al. 1997, HALE et al. 2005, LEE et al. 2006).<br />
Die Regenwürmer werden dabei passiv beispielsweise durch Angler, mit dem Wurzelballen von<br />
Pflanzen oder entlang von Forststraßen verfrachtet (Tiunov et al. 2006, DYMOND et al. 2007).<br />
Das Besiedlungsmuster korreliert auch nach mindestens 150 Jahren europäischer Kolonisation in<br />
Minnesota noch deutlich mit der menschlichen Aktivität (TIUNOV et al. 2006). Dies ist ein<br />
deutlicher Hinweis auf die geringe aktive Ausbreitung der Regenwürmer. Daraus lässt sich<br />
schlussfolgern:<br />
• Die flächige Besiedlung Mitteleuropas mit besser angepassten südeuropäischen Arten dürfte<br />
mindestens die Größenordnung eines Jahrhunderts in Anspruch nehmen.<br />
• Die vollständige Wiederbesiedlung einer Landschaft mit einheimischen Arten nach dem Erlöschen<br />
einer Population aufgrund eines Extremereignisses unter der Annahme, dass Tiere an<br />
wenigen günstigeren Stellen in der Landschaft überdauern können, wird vorwiegend mit der<br />
geringen aktiven Ausbreitungsgeschwindigkeit erfolgen. Für 100 m werden Regenwürmer<br />
also mindestens eine Dekade benötigen. Großräumig einheitliche Landschaften, wie flurbereinigte,<br />
drainierte Agrarlandschaften, können daher nur in Zeiträumen von Dekaden wiederbesiedelt<br />
werden.