Untitled - European Borderlands
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S o n j a V e s e l i n o v i ć - G e d i c h t e ü b e r<br />
langweiligen vernachlässigbaren fragen die sprache wird mich bestrafen wegen so vieler fragen - es<br />
hat schon angefangen sagte ich zu dem schmerz in der kehle verbreite dich damit ich weniger rede<br />
und noch weniger frage<br />
ich will die wahrheit nicht sicher sitzt in mir ein machtgieriger mensch, aber der wird nicht all<br />
meine wahrheitsliebenden (irgendwie ist es hässlich das wort - ja ja das ist sein einfluss - ich mag<br />
zusammensetzungen nicht - je kürzer je besser desto weniger ablenkungen) neigungen zensieren;<br />
jetzt könnte er mir ein sprichwort aufdrängen, damit wir damit aufhören - per du! das genügt für<br />
dich wenn es allen genügt das wahrheitsähnliche muss auch dir ...<br />
ich mag rätsel lieber aber solche die nicht 1 lösung haben oder - noch besser - solche die keine<br />
lösung haben<br />
ich mag lyrik lieber<br />
psssssssssssssssssssssssssssssst<br />
19.<br />
Unter dem Finger pulsiert das Papier. Oder der Finger pulsiert. Ich ziehe ihn langsam von links<br />
nach rechts, irgendwo bleibt er liegen und will nicht weiter, da vergesse ich ihn. Ich räume auch<br />
aus dem Verstand, dass ich ein Herz habe, das überall pulsiert, auch in diesem vom Verkehr mit<br />
der abgestandenen Druckerschwärze erregten Finger. Auch den Verstand selbst räume ich aus dem<br />
Verstand, ich weiß nicht wie, aber dafür habe ich wirklich Talent. Auch für die Schauspielerei,<br />
allerdings in eigener Regie, in Abwesenheit des Geistes. Bis zur Unerträglichkeit arbeite ich alles<br />
durch (der Finger liegt immer noch dort, wo ich ihn liegen ließ), bis zum sinnlosesten Detail. Ein<br />
solches Leben würde alles um sich herum zerstören, zum Glück ist es ein Hirngespinst. (Wie ich, wie<br />
ich, wie ich!) Es gibt in mir etwas Überschüssiges. Unaufhörlich unterdrücke ich. Es gibt in mir eine<br />
Explosion, die weiß, dass sie nicht sein darf. Meine aberwitzigen Vorstellungen vervollständigen<br />
aufrichtige Träume. Wie sehr sie mich behüten und ob sie das überhaupt vermögen, darf ich nicht<br />
fragen. Kein Fragezeichen hat so viel Mut.<br />
Ich heiße: Sie rufen mich immer anders. Stück: Einakter/Mehrakter: für einen Irren - und eine<br />
Dichterin, aufgehübscht mit Schal um zu verbergen ...<br />
Sie ist niemals aus, meine Vorstellung. Meine liebe Marina, auch Euch lese ich niemals aus. Das<br />
sind schließlich Hirngespinste, sie haben Euch getrogen. Nicht absichtlich, sie wissen nichts von<br />
unserer stillschweigenden Vereinbarung.<br />
Es gibt Flammen. Und mich gibt es.<br />
Das ist nicht nur pathetisch! (Ich bin so für die, die keine Fragen stellen mögen!) Das ist<br />
pathetischer Aberwitz!<br />
Ein Stück zum Träumen – dauert zwei, drei Lidschläge lang – würde in Wirklichkeit nie-ma-len<br />
dauern.<br />
30.<br />
Marina, vor Ihnen haben sich so viele fürchterliche Einsamkeiten aus dem Staub gemacht.<br />
Selbst die unerträglichen, die nicht einmal ein Gespräch, bei dem man das unendliche Gesicht<br />
des Partners und Kleindarstellers im Dunkeln ahnt, ausdünnen kann. Sobald Sie sich nähern<br />
– fliegt der Schwarm auf und verliert sich im Kichern der verbliebenen Nicht-mehr-Einsamen.<br />
Anders bei mir – ich mache Krach und springe, um sie in die Flucht zu schlagen, und sie vermehren<br />
sich spöttisch, grotesk vor mir, fallen über alles her, was ich berühre, schnüffeln im puren Gold<br />
schizophrenen Geplauders. Ohne Geduld, ohne Zuwarten, ohne Ahnungen und Stillstände? Es<br />
ist immer noch so, ich würde zur Katze aufs Dach steigen, nur um nicht alleine zu sein, ach, Marina,<br />
warum gibt es mich schon so lange? Es ist schwer, die Einsamkeit zu töten. Am Ende kommt es<br />
auf das Gleiche heraus, ob es eine Katze oder ein Mann ist, wenn er sich beeilt, wenn er in seiner<br />
Verzweifelung nach der erstbesten Waffe greift. Ich würde Volođa gern anbrüllen, ihn schelten<br />
und quälen, damit er gewaltig, schallend, deutlich (so deutlich wie sein Gesicht – im Gegenlicht<br />
präzise herausgemeißelt) lacht, weil er alles weiß. Warum haben Sie ihn geschickt? Schreiben sind<br />
wir, nicht aus Übersee, sondern überbewusst, übermenschlich, und wir gehen dort unter, wo du<br />
mit dem Schnee auch das Selbst von den Schuhsohlen klopfst, so gelöst und sorglos. Schreiben<br />
sind wir, der Versuchung des Sündenhorizontes und der Ermüdung des Seins wegen. Endlose<br />
Schreiben, die sich immer schneller entfalten und immer schicksalhafter. Verzeih mir, Wind-<br />
Briefbote, dass ich gleichsam in den Zaubertrank der Ichbezogenheit eingelegt bin. Ein perverser<br />
Obelix. Denn die Zeit wird kommen, in der alles zu viel ist, in der sich die geflickte, weggeschobene<br />
Seele überraschend aufdrängt, gedankenverlorenes Rätsel wird und nicht weichen will, bevor<br />
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