Untitled - European Borderlands
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kommen auf ihn zu, der eine streift den linken Pfosten, der andere rutscht ihm durch die Beine,<br />
er kann sie nicht halten. Der alte Ball ist angeblich aus Schweineleder gemacht. Würde ihn ein<br />
anderer Junge nicht eben noch erreichen, dann wäre er auf die Straße gerollt. Der neue verfängt<br />
sich im Drahtzaun, der zu surren beginnt. Hinten auf dem Schotter springen die Mädchen, sie<br />
spielen Himmel und Hölle. Sie müssen die Felder hin und zurück durchspringen, die Regeln haben<br />
sich nicht verändert, nur die Kleider, wir sind von Viereck zu Viereck gesprungen, als es in der<br />
Eulenburg noch keine Schule gab, keinerlei Gebäude, nur den leeren Platz, im Sommer ein Meer<br />
von Staub, im Herbst ein einziges Schlammbad.<br />
An diesem Morgen, es war ein Sonntag, spielten nur Kinder aus der näheren Umgebung in der<br />
Eulenburg, sie hatten ganz schmale Knochen, waren blass und dumm. Sonst bin ich nicht häufig<br />
bei ihnen geblieben, um dort im Staub herumzurennen. Der Müll aus der Stadt, die trockene, nach<br />
Eisen riechende Luft, der aufgedunsene und zerbröckelte Beton, Abfall und Zigarettenqualm, das<br />
alles wurde von den seltenen Regenfällen zu einer einzigen Masse zusammengewaschen, ohne<br />
Erinnerung und ohne Zukunft, auch die Kinder der Eulenburg waren aus diesem Stoff gemacht.<br />
Jetzt blieb ich dennoch dort bei ihnen, obwohl ich tief innen eine fürchterliche Sorge hatte, weil<br />
ich wusste, etwas zu tun, was nicht erlaubt war. Ich war nicht gehorsam. Mein Hals trocknete aus,<br />
als würde jedwede Feuchtigkeit aus mir heraus gepresst. Auch ich bestand nun aus Staub, meine<br />
Haare waren reiner Staub, meine Kleider. Ich kann mich nicht erinnern, wie die Zeit verging. Es<br />
ging schon auf Nachmittag zu, als ich bei der Polizei ankam. Ich fragte, ob sie Leber haben wollten.<br />
Sie lachten mich aus und meinten, mein Vater hätte mich zu einer guten Zeit losgeschickt, sie<br />
hätten längst zu Mittag gegessen, wären sogar mit dem Abwasch schon fertig.<br />
Ich wusste, was jetzt folgen würde. Nase, Augen und Mund im Gesicht meiner Mutter verzogen<br />
sich in alle Richtungen, vor lauter Verzerrung konnte ich sie kaum mehr erkennen. Ihr Mund brüllte:<br />
„Sieh nur, das junge Fräulein ist nach Hause gekommen!“ „So gut kann man sich auf sie verlassen.“,<br />
ihr Auge sagte: „Ich werde dich ausrotten.“, und ihre Nase, ihre Nase sagte nichts, sie schnaufte in<br />
unbeschreiblicher Wut. Mein Vater gab sich noch zehn Mal wütender als meine Mutter. So wichtig<br />
war es also, dass die Polizisten eine Kostprobe bekamen? Dabei gehörte mein Vater schon lange<br />
nicht mehr zu ihnen. Stattdessen fegt er den Hof vor dem Gebäude der Grubenverwaltung. Oder<br />
geht es hier um etwas ganz anderes? Ob die beiden das wenigstens verstehen? Das Gesicht von Vater<br />
wird schön rot, es ist schön, wenn es vor Wut rot wird, fast so rot wie Rote Beete, und dann fasst<br />
er mich auch schon am Arm und zieht mich über den langen, leicht ansteigenden Hof hinter sich<br />
her. Woher nur weiß er, dass er dies jetzt tun muss? Was zwingt ihn dazu? Alles Lebendige ist aus<br />
dem Lehmboden des Hofes herausgerupft, da gibt es keinen Grashalm, keinerlei Unkraut, vor dem<br />
Haus steht eine weiße Kinderwanne, darin liegt noch das warme, eben herausgeschnittene Fleisch,<br />
von außen ist die Wanne blutig. Was nur hat dem Vater dieses Tun in die Nerven eingeschrieben,<br />
wann ist das geschehen? Er schleppt mich auf den Schweinestall zu, das bin nicht ich, nicht ich,<br />
das bin ich nicht. So ist auch das hier jetzt ein Babel? Er presst meinen Arm, seine Fingerspitzen<br />
bohren sich in meine Haut, es tut weh. Auch die marode Hauswand tut mir weh, mit ihren Rissen<br />
und rauen Vorsprüngen. Sie schürfen meine Haut. Die Stimme meiner Mutter tut mir weh, ihr<br />
Mund redet und redet in einem fort. Die Worte tun mir weh, ich bin eine einzige Schürfwunde.<br />
Das aber macht jetzt mein Vater. Er hat sich diese überharte Strafe ausgedacht. In einer Schüssel<br />
liegen die Knochen, in der anderen die übrigen Innereien, die Lunge und etwas von der Leber. Über<br />
den Rand der Schüssel ist Blut geflossen, Blut und Galle. Das macht jetzt mein Vater, seine Hand<br />
ist trocken und kräftig. Er greift mit Gewalt meinen Arm. Hinter mir höre ich den Holzriegel der<br />
Tür zum Schweinestall. Ich bin eingesperrt, jetzt werde ich für immer eingesperrt sein. Wenn ich<br />
mich auf die Zehenspitzen stelle und mich strecke, dann sehe ich die Wolken am Herbsthimmel.<br />
Langsam wird es dunkel. Ich warte darauf, dass mein Vater zu mir kommt und mich befreit.<br />
Übersetzt: Wilhelm Droste.<br />
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G á b o r S c h e i n - H e i m l i c h e W e l t e n