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Untitled - European Borderlands

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Gedichte über<br />

(Auszüge)<br />

10.<br />

Wie lebt es sich ohne männliche Hand? Wie stellt man das an - allein auf sich gestellt? Wie<br />

befiehlt man sich, dass sich dieses Selbst männlich wie weiblich sei? Wie wartet man auf sich,<br />

Marina, wie überlebt man auf Dauer mit sich?<br />

In der Phantasie lieben, während du döst, während du unter dem fleckigen Licht der<br />

Baumkronen spazieren gehst, hinter tief hängenden Ästen eine Gestalt vermuten, jede Bewegung,<br />

nein, jeden Gedanken an eine Bewegung selbst bestimmen, sich versöhnen, verzeihen und immer<br />

wieder zurückkommen, alles frei erfunden, genau so, wie andere dich im Buch finden sollten, und<br />

niemals, niemals, niemals glücklich sein. Bis zum Ende ... haha ... der Seite?<br />

Im Zentrum der Phantasien stehen (dort steht alles stets im Zentrum, und alles ist ewig) und<br />

unter den Fingern und in der Luft und im Sinn des Aufgezählten den Kuss, der kommt, erahnen.<br />

Vollendet. Vollkommen in sich, in seiner Unnötigkeit.<br />

Unbekümmert mit bekannten Orten kombinieren, mit der bekannten Welt, niemals mit<br />

einem bekannten Jemand oder sich selbst. Sich selbst auflösen und neugeboren zurückmelden<br />

mit einem Bewusstsein frei von der Konsistenz der Figuren und von der Sprache und dem an sich<br />

rückgebundenen Instinkt. Wie zum ersten Mal das eigene Gesicht sehen und sich - wie die Mutter<br />

das Kind - mit einem neuen Namen, einem neuen Lallen ansprechen. Es befreien.<br />

Und es eines schönen Tages an der Sonne ausbacken und aufessen, wenn die Früchte der Erde<br />

Überdruss erregen.<br />

Wenn man sich liebend selbst vernebelt, muss man stets aufs Neue ein klares und sogar ein<br />

bisschen blendendes, frischluftiges Ich erschaffen.<br />

Aber mich kennen sie schon an diesem Ich, das sich in der Rede wie die Hasen vermehrt, an<br />

diesem unermüdlichen, überaus anstrengenden Versuch zu beweisen, dass ich da bin.<br />

Aber dass ich ein Ich habe, beweist nicht, dass ich da bin, sondern nur, dass es in diesem<br />

Zimmer, dieser Stadt einen Text gibt, im Jahre irgendeines Herrn.<br />

11.<br />

den regen träumen im regen aufwachen noch ein bisschen dann durchnässt mit dem warnenden<br />

schmerz in der kehle - wenn der schmerz im lauf des tages weggeht: war es weder traum noch tag,<br />

sondern nur schmerz zur orientierung in der nassen haut der augenlider; wenn der schmerz nicht<br />

weggeht: war es kein tag, denn der traum hat ihn samt seinem produkt - dem erwähnten schmerz<br />

in der kehle - überwältigt<br />

also so oder so gibt es keinen tag wozu dann montag dienstag bis zu dem zauberhaften vendredi<br />

venerdí pяtnica dem etwas prosaischen Freitag/friday und so weiter: wirklich nur damit der Petak<br />

überall einen Namen bekommt<br />

es ist nicht nur - das wäre allerdings grund genug - namensgebung sondern auch die halbe<br />

arbeit es ist schon: die hälfte seines/ihres lebens verträumen; namen geben das ist: untilgbar und<br />

unwiederholbar teilnehmen<br />

irgendetwas träumen und sich besinnen: das ist schon ein ereignis und eins der wunder sogar;<br />

übergänge in denen wir uns als handlungsträger setzen - ist das nicht niedlich? - SICH besinnen<br />

nein ich bin wirklich nicht sicher ob ich die macht habe mir besinnung zu befehlen die SPRACHE<br />

will uns immer trösten das ist unsere erfindung zumindest zum teil - allerdings nicht meine ich bin<br />

ihre aber das gehört nicht hierher denkt ich sei eine von ...<br />

wiederholungen trösten uns - heute werde ich um sieben uhr aufwachen und morgen auch und<br />

das nährt bereits meine hoffnung ich hätte mein leben tatsächlich im griff: überleg (ich nicht - ich<br />

weiß, dass Ihr sogar dort regiert, auch wenn Ihr darüber vielleicht verzweifelt) wie die wahrheit in<br />

der tröstlichen sprache zu sagen wäre: wird sie sich ihr ergeben?; nein - ich schweige es gibt keine<br />

97<br />

S o n j a V e s e l i n o v i ć - G e d i c h t e ü b e r

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